Kant: AA V, Kritik der praktischen ... , Seite 025 |
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| 01 | bestimmt (nicht im Dienste der Neigungen ist), ein wahres oberes Begehrungsvermögen, | ||||||
| 02 | dem das pathologisch bestimmbare untergeordnet ist, und wirklich, ja | ||||||
| 03 | specifisch von diesem unterschieden, so daß sogar die mindeste Beimischung von | ||||||
| 04 | den Antrieben der letzteren ihrer Stärke und Vorzuge Abbruch thut, so wie das | ||||||
| 05 | mindeste Empirische, als Bedingung in einer mathematischen Demonstration, ihre | ||||||
| 06 | Würde und Nachdruck herabsetzt und vernichtet. Die Vernunft bestimmt in einem | ||||||
| 07 | praktischen Gesetze unmittelbar den Willen, nicht vermittelst eines dazwischen kommenden | ||||||
| 08 | Gefühls der Lust und Unlust, selbst nicht an diesem Gesetze, und nur, daß | ||||||
| 09 | sie als reine Vernunft praktisch sein kann, macht es ihr möglich, gesetzgebend | ||||||
| 10 | zu sein. | ||||||
| 11 | Anmerkung II |
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| 12 | Glücklich zu sein, ist nothwendig das Verlangen jedes vernünftigen, aber endlichen | ||||||
| 13 | Wesens und also ein unvermeidlicher Bestimmungsgrund seines Begehrungsvermögens. | ||||||
| 14 | Denn die Zufriedenheit mit seinem ganzen Dasein ist nicht etwa ein | ||||||
| 15 | ursprünglicher Besitz und eine Seligkeit, welche ein Bewußtsein seiner unabhängigen | ||||||
| 16 | Selbstgenugsamkeit voraussetzen würde, sondern ein durch seine endliche Natur | ||||||
| 17 | selbst ihm aufgedrungenes Problem, weil es bedürftig ist, und dieses Bedürfniß betrifft | ||||||
| 18 | die Materie seines Begehrungsvermögens, d. i. etwas, was sich auf ein subjectiv | ||||||
| 19 | zum Grunde liegendes Gefühl der Lust oder Unlust bezieht, dadurch das, was | ||||||
| 20 | es zur Zufriedenheit mit seinem Zustande bedarf, bestimmt wird. Aber eben darum, | ||||||
| 21 | weil dieser materiale Bestimmungsgrund von dem Subjecte blos empirisch erkannt | ||||||
| 22 | werden kann, ist es unmöglich diese Aufgabe als ein Gesetz zu betrachten, weil dieses | ||||||
| 23 | als objectiv in allen Fällen und für alle vernünftige Wesen eben denselben | ||||||
| 24 | Bestimmungsgrund des Willens enthalten müßte. Denn obgleich der Begriff | ||||||
| 25 | der Glückseligkeit der praktischen Beziehung der Objecte aufs Begehrungsvermögen | ||||||
| 26 | allerwärts zum Grunde liegt, so ist er doch nur der allgemeine Titel der | ||||||
| 27 | subjectiven Bestimmungsgründe und bestimmt nichts specifisch, darum es doch in | ||||||
| 28 | dieser praktischen Aufgabe allein zu thun ist, und ohne welche Bestimmung sie gar | ||||||
| 29 | nicht aufgelöset werden kann. Worin nämlich jeder seine Glückseligkeit zu setzen habe, | ||||||
| 30 | kommt auf jedes sein besonderes Gefühl der Lust und Unlust an, und selbst in einem | ||||||
| 31 | und demselben Subject auf die Verschiedenheit des Bedürfnisses nach den Abänderungen | ||||||
| 32 | dieses Gefühls, und ein subjectiv nothwendiges Gesetz (als Naturgesetz) | ||||||
| 33 | ist also objectiv ein gar sehr zufälliges praktisches Princip, das in verschiedenen | ||||||
| 34 | Subjecten sehr verschieden sein kann und muß, mithin niemals ein Gesetz | ||||||
| 35 | abgeben kann, weil es bei der Begierde nach Glückseligkeit nicht auf die Form der | ||||||
| 36 | Gesetzmäßigkeit, sondern lediglich auf die Materie ankommt, nämlich ob und wieviel | ||||||
| 37 | Vergnügen ich in der Befolgung des Gesetzes zu erwarten habe. Principien der | ||||||
| 38 | Selbstliebe können zwar allgemeine Regeln der Geschicklichkeit (Mittel zu Absichten | ||||||
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