Kant: AA V, Kritik der praktischen ... , Seite 023

     
           
 

Zeile:

 

Text (Kant):

 

 

 

 
  01 glauben können, ob die Vorstellungen, die mit dem Gefühl der Lust verbunden      
  02 sind, in den Sinnen, oder dem Verstande ihren Ursprung haben. Denn es      
  03 kommt, wenn man nach den Bestimmungsgründen des Begehrens frägt und sie      
  04 in einer von irgend etwas erwarteten Annehmlichkeit setzt, gar nicht darauf an,      
  05 wo die Vorstellung dieses vergnügenden Gegenstandes herkomme, sondern nur      
  06 wie sehr sie vergnügt. Wenn eine Vorstellung, sie mag immerhin im Verstande      
  07 ihren Sitz und Ursprung haben, die Willkür nur dadurch bestimmen kann, daß sie      
  08 ein Gefühl einer Lust im Subjecte voraussetzt, so ist, daß sie ein Bestimmungsgrund      
  09 der Willkür sei, gänzlich von der Beschaffenheit des inneren Sinnes abhängig,      
  10 daß dieser nämlich dadurch mit Annehmlichkeit afficirt werden kann. Die      
  11 Vorstellungen der Gegenstände mögen noch so ungleichartig, sie mögen Verstandes=,      
  12 selbst Vernunftvorstellungen im Gegensatze der Vorstellungen der Sinne sein, so      
  13 ist doch das Gefühl der Lust, wodurch jene doch eigentlich nur den Bestimmungsgrund      
  14 des Willens ausmachen, (die Annehmlichkeit, das Vergnügen, das man      
  15 davon erwartet, welches die Thätigkeit zur Hervorbringung des Objects antreibt)      
  16 nicht allein so fern von einerlei Art, daß es jederzeit blos empirisch erkannt werden      
  17 kann, sondern auch sofern, als es eine und dieselbe Lebenskraft, die sich im Begehrungsvermögen      
  18 äußert, afficirt und in dieser Beziehung von jedem anderen      
  19 Bestimmungsgrunde in nichts als dem Grade verschieden sein kann. Wie würde      
  20 man sonst zwischen zwei der Vorstellungsart nach gänzlich verschiedenen Bestimmungsgründen      
  21 eine Vergleichung der Größe nach anstellen können, um den,      
  22 der am meisten das Begehrungsvermögen afficirt, vorzuziehen? Eben derselbe      
  23 Mensch kann ein ihm lehrreiches Buch, das ihm nur einmal zu Händen kommt,      
  24 ungelesen zurückgeben, um die Jagd nicht zu versäumen, in der Mitte einer schönen      
  25 Rede weggehen, um zur Mahlzeit nicht zu spät zu kommen, eine Unterhaltung      
  26 durch vernünftige Gespräche, die er sonst sehr schätzt, verlassen, um sich an den      
  27 Spieltisch zu setzen, sogar einen Armen, dem wohlzuthun ihm sonst Freude ist,      
  28 abweisen, weil er jetzt eben nicht mehr Geld in der Tasche hat, als er braucht, um den      
  29 Eintritt in die Komödie zu bezahlen. Beruht die Willensbestimmung auf dem Gefühle      
  30 der Annehmlichkeit oder Unannehmlichkeit, die er aus irgend einer Ursache erwartet,      
  31 so ist es ihm gänzlich einerlei, durch welche Vorstellungsart er afficirt werde.      
  32 Nur wie stark, wie lange, wie leicht erworben und oft wiederholt diese Annehmlichkeit      
  33 sei, daran liegt es ihm, um sich zur Wahl zu entschließen. So wie demjenigen,      
  34 der Gold zur Ausgabe braucht, gänzlich einerlei ist, ob die Materie desselben, das      
  35 Gold, aus dem Gebirge gegraben, oder aus dem Sande gewaschen ist, wenn es nur      
  36 allenthalben für denselben Werth angenommen wird, so frägt kein Mensch, wenn es      
  37 ihm blos an der Annehmlichkeit des Lebens gelegen ist, ob Verstandes= oder Sinnesvorstellungen      
  38 sondern nur wie viel und großes Vergnügen sie ihm auf die      
  39 längste Zeit verschaffen. Nur diejenigen, welche der reinen Vernunft das Vermögen,      
  40 ohne Voraussetzung irgend eines Gefühls den Willen zu bestimmen, gerne abstreiten      
           
     

[ Seite 022 ] [ Seite 024 ] [ Inhaltsverzeichnis ]