| Kant: Briefwechsel, Brief 81, Von Iohann Caspar Lavater. | |||||||
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| Von Iohann Caspar Lavater. | |||||||
| 8. Febr. 1774. | |||||||
| Unter allen möglichen Eingängen, die sich mir darbieten - um | |||||||
| mit einigem Anstand das erste Mahl vor Sie hinzutreten, muß ich, | |||||||
| will ich, mein verehrenswürdiger Herr Kant, den geradesten wählen, | |||||||
| - - Heüt kam eine Tochter von Winterthur zu mir, die einen Bruder | |||||||
| in Königsberg hat, frug mich, ob ich dort keine Bekanntschaft habe? | |||||||
| Ob ich nicht Bericht von ihm einhohlen könnte? . . . Sogleich fiel | |||||||
| mir mein Lieblingsschriftsteller Kant, Herders Freünd ein - und ich | |||||||
| versprach, in ihrem Namen zuschreiben. und was? Ein seltsamer | |||||||
| Auftrag an einen Philosophen, à la Wolf - der natürlichste an einen | |||||||
| Philosophen, der so sehr Mensch, Mensch ist, wie Kant, mit dem ich | |||||||
| in manchem sympathisire | |||||||
| Es frägt sich nämlich, ob Sie die Mühe nehmen wollten, einem | |||||||
| gewißen Iohann Rudolph Sulzer, erster Instanz, bey einem Schafhauser | |||||||
| Schalk, gürtler, in der ersten Vorstadt nachzufragen; sich seiner | |||||||
| Aufführung halber zuerkundigen, und womöglich ihn selber zusprechen, | |||||||
| und uns zuberichten, ob Sie ihm zutrauten, daß er sich in seinem | |||||||
| Vaterlande gut aufführen werde. Der Mensch ist Soldat, und mögte sehr | |||||||
| gern los seyn, und wieder in sein Vaterland zurük. Ich glaube, seine | |||||||
| zwar nicht bemittelte Aeltern und Geschwister würden ihr möglichstes | |||||||
| thun, um ihn loszukaufen, wofern Sie uns seiner Aufführung halber | |||||||
| einige Sicherheit geben könnten. Er war in den letzten Iahren seines | |||||||
| Hierseyns leichtsinnig. | |||||||
| Ich bitte Sie also, mich, so bald möglich hievon zubenachrichtigen, | |||||||
| und wo möglich zugleich anzuzeigen, was es etwa kosten würde, ihn | |||||||
| loszukaufen? | |||||||
| Wie viel sollte ich nun abbitten, - wenn ich nicht an Sie glaubte. | |||||||
| aber, ich bitte mit keinem Wort ab. | |||||||
| aber nun - ist mein Auftrag getreülich vollendet, das Blat noch | |||||||
| halb leer - u: was ich Ihnen sagen, was ich Sie fragen mögte, so viel | |||||||
| daß ich nicht anfangen - u: doch auch nicht sofort abbrechen kann. | |||||||
| Sagen Sie mir doch auch nur mit einem Paar Zeilen: Sind | |||||||
| Sie dann der Welt gestorben? warum schreiben so viele, die nicht | |||||||
| schreiben können - und Sie nicht, die's so vortreflich können? warum | |||||||
| schweigen Sie - bey dieser, dieser neüen Zeit - geben keinen Ton | |||||||
| von sich? Schlafen? Kant - nein, ich will Sie nicht loben - aber | |||||||
| sagen Sie mir doch, warum Sie schweigen? oder vielmehr: Sagen | |||||||
| Sie mir, daß Sie reden wollen. | |||||||
| und dann - doch ich werde indiskret, wenn ich fortfahre zuschreiben | |||||||
| - dann wünscht, ich noch - von Ihnen wenigstens, da | |||||||
| mirs alle Welt versagt - einige Lichtgedanken in mein Menschengedicht | |||||||
| - was Sie wollen, ohne Ordnung, Zusammenhang - Nur | |||||||
| Zeilen - damit ich bald was empfange - und der Hauptzweck meines | |||||||
| Briefes nicht drunter leide. | |||||||
| Ich muß abbrechen - und nur noch schnell hinsagen, da | |||||||
| Iahre lang schon innigst hochschätze, - daß mein Herzensfreünd | |||||||
| Pfenninger denkt, wie ich - und daß ich seit einiger Zeit das Glück | |||||||
| habe, das unaussprechliche Glück, Herders Freünd zuseyn - der doch | |||||||
| nun spricht, indeß Kant schweigt? | |||||||
| Ich umarme Sie herzlich. | |||||||
| Zürich, den 8. Febr. 1774. | |||||||
| I. C. Lavater, | |||||||
| Helfer am Waysenhause. | |||||||
| N. S. Den Augenblick vernehme ich noch, daß obbesagter Sulzer | |||||||
| unter Stutterheimschen Regiment, in Herrn Obrist Roeders Compagnie | |||||||
| stehe. | |||||||
| Noch Eins: Wie würde es mich freüen, ein Schattenbild von | |||||||
| Ihnen in der Größe des gegenwärtigen zuhaben! | |||||||
| [ abgedruckt in : AA X, Seite 148 ] [ Brief 80 ] [ Brief 81a ] [ Gesamtverzeichnis des Briefwechsels ] | |||||||