| Kant: AA X, Briefwechsel 1784 , Seite 375 | |||||||
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| 01 | Gerechtigkeit, und ein Mann von Ihrem Herzen, wird sie ihm nicht | ||||||
| 02 | versagen. | ||||||
| 03 | Zuerst muß ich Ew. Wohlgeb. auf Ehre und Gewißen versichern, | ||||||
| 04 | daß sich der Ungenannte nicht der geringsten Künste bedient, um die | ||||||
| 05 | bewußte Person zu verführen: er hat weder Überredungen noch Liebkosungen | ||||||
| 06 | angewendet: die bewußte Person hat der augenbliklichen | ||||||
| 07 | Empfindung des blos thierischen Triebes untergelegen: der Ungenannte | ||||||
| 08 | fand keinen Wiederstand. So wenig ich also den Ungenannten überhaupt | ||||||
| 09 | entschuldige, daß er in diese Schwachheit versunken, so ist er | ||||||
| 10 | doch von der Schuld frei, daß er die Tugend verführt: diesen Vorwurf | ||||||
| 11 | darf sich der Ungenannte weder hier bei dieser Person, noch je | ||||||
| 12 | sonst noch in seinem Leben machen. Und ich kann in die Seele des Ungenannten | ||||||
| 13 | schwören, daß, wenn er nur den geringsten Anschein von | ||||||
| 14 | Widerstand, der ein edles Gefühl der Tugend verrathen, gefunden, so | ||||||
| 15 | würde er dises heilige Gefühl geehret haben. - Noch eine Versicherung | ||||||
| 16 | kann ich Ihnen im Nahmen des Ungenannten thun, daß er einer | ||||||
| 17 | von denen jungen Leuten izt lebender Zeit ist, die sich am allerwenigsten | ||||||
| 18 | Vorwürfe darüber machen dürfen, in der Liebe zum andern Geschlecht, | ||||||
| 19 | durch Befriedigung des thierischen Instinkts ausgeschweift zu haben: | ||||||
| 20 | den Vorwurf muß er sich hingegen machen, daß er in der feinern | ||||||
| 21 | metaphysischen Liebe ehmals auf die traurigste Weise ausgeschweifet, | ||||||
| 22 | und darüber fast ganz Gesundheit des Leibes und der Seele verlohren | ||||||
| 23 | hat. - Nur einige wenige Mahle, hat er bei jener Person den thierischen | ||||||
| 24 | Empfindungen untergelegen, hernach hat er in der strengsten Entfernung | ||||||
| 25 | von derselben gelebt, und Ekel, und innern Unwillen gegen sich selbst, | ||||||
| 26 | empfunden. | ||||||
| 27 | Der Ungenannte soll ein unmoralisches Betragen dadurch geäußert | ||||||
| 28 | haben, daß er in den Augenblikken der thierischen Empfindung, die | ||||||
| 29 | künftigen daraus entstehenden traurigern Folgen hat vorzubeugen suchen. | ||||||
| 30 | Ich halte dergleichen außergesezliche Befriedigungen der Liebe im Ganzen | ||||||
| 31 | allemahl für unerlaubt; allein wenn nun ein Mensch einmahl in diese | ||||||
| 32 | Natur=Schwachheit verfällt, handelt er darin so unmoralisch, wenn ihn in | ||||||
| 33 | disen Augenblikken, die Furcht (:wenn er sie sich von je her so genau | ||||||
| 34 | aßociirt hat:) für künftigen traurigen Folgen bewegt, sich nicht ganz | ||||||
| 35 | seinem Instinkt zu überlaßen? Die Gränzen dieses Briefes erlauben | ||||||
| 36 | nicht, mehrere Anmerkungen über diese zärtliche Sache zu machen, die | ||||||
| 37 | von so manchen Seiten kann betrachtet werden; Nur dies einzige will | ||||||
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