| Kant: AA X, Briefwechsel 1783 , Seite 308 | |||||||
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| 01 | und der würdige Vater, der Sie kennet, glaubt zu dieser wichtigen | ||||||
| 02 | Empfehlung, durch die Meinige noch etwas hinzuthun zu können. Da | ||||||
| 03 | diese Meinung von meinem Werthe in Ihren Augen, so schmeichelhaft | ||||||
| 04 | für mich ist; so wünsche ich sie allerdings unter guten Menschen erhalten | ||||||
| 05 | zu können, und Sie, theuerster Herr Professor! Sie lieben mich | ||||||
| 06 | wirklich allzusehr, um meiner Eigenliebe dieses zu gönnen. Ihnen ist | ||||||
| 07 | ohnehin jeder Iüngling, der nach Weisheit strebt, empfohlen, wie Ihr | ||||||
| 08 | Sohn, und dieser hat bewährte Zeugnisse für sich, daß er würdig sey, | ||||||
| 09 | von Ihnen geleitet zu werden. | ||||||
| 10 | Ich weis nicht, welche Königsberger mich vor einigen Monathen | ||||||
| 11 | versichert haben, Sie würden diesen Sommer zu uns kommen, und | ||||||
| 12 | hier durch nach Pyrmont, oder Spa reisen. Können Ihre Freunde | ||||||
| 13 | dieses hoffen? - Im Grunde müßte eine solche Reise, auch ohne Bad | ||||||
| 14 | und Brunnen, Ihnen zuträglich seyn, und ich sollte denken, Sie wären | ||||||
| 15 | verbunden, Ihre Gemächlichkeit und das ganze Heer von Bedenklichkeiten, | ||||||
| 16 | die eine scharfsinnige Hypochondrie der Reise entgegensetzen kan, | ||||||
| 17 | dem Aeskulap zu opfern. Offene Arme würden Sie in Berlin viele | ||||||
| 18 | finden; aber auch so manches offene Herz, und unter andern auch eines | ||||||
| 19 | Menschen, der Ihnen Bewunderung nachruft, ohne Ihnen folgen zu | ||||||
| 20 | können. Seit vielen Iahren bin ich der Metaphysik wie abgestorben. | ||||||
| 21 | Meine Nervenschwäche verbietet mir alle Anstrengung, und ich amusire | ||||||
| 22 | mich unterdessen mit minderangreifenden Arbeiten, davon ich nächstens | ||||||
| 23 | das Vergnügen haben werde, einige Proben zu übersenden. Ihre | ||||||
| 24 | Kritik der reinen Vernunft ist für mich auch ein Kriterium der | ||||||
| 25 | Gesundheit. So oft ich mich schmeichele, an Kräften zugenommen zu | ||||||
| 26 | haben, wage ich mich an dieses Nervensaftverzehrende Werk, und ich | ||||||
| 27 | bin nicht ganz ohne Hoffnung, es in diesem Leben noch ganz durchdenken | ||||||
| 28 | zu können. Ich bin | ||||||
| 29 | der Ihrige | ||||||
| 30 | Moses Mendelssohn | ||||||
| 31 | Berlin den 10. April | ||||||
| 32 | 1783 | ||||||
| 190a. | |||||||
| 34 | An Friedrich Victor Leberecht Plessing. | ||||||
| 35 | Zwischen 1. und 15. April 1783. | ||||||
| 36 | Erwähnt 191. | ||||||
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