| Kant: AA X, Briefwechsel 1781 , Seite 269 | |||||||
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| 01 | aber davor daß Sie bey Ihrer eigenen Schriftstellerischen Arbeit (denn | ||||||
| 02 | ich höre daß Sie eine medicinische Encyclopädie ausarbeiten) sich vorgesetzt | ||||||
| 03 | haben diese Schrift ganz eigentlich zu studiren auf welche Bemühung | ||||||
| 04 | ich nur bey sehr wenig Lesern gleich anfangs rechnen darf | ||||||
| 05 | unerachtet ich mich demüthigst überzeugt halte sie werde mit der Zeit | ||||||
| 06 | allgemeiner werden denn man kan es nicht erwarten daß die | ||||||
| 07 | Denkungsart aufeinmal in ein bisher ganz ungewohntes Gleis geleitet | ||||||
| 08 | werde sondern es gehört Zeit dazu um sie zuvor in ihrem alten | ||||||
| 09 | Gange nach und nach aufzuhalten und sie endlich durch allmählige | ||||||
| 10 | Eindrücke in die entgegengesetzte Richtung zu bringen. Von einem | ||||||
| 11 | Manne aber der unter allen die mir das Glück als Zuhörer zugeführt | ||||||
| 12 | hat am geschwindesten und genauesten meine Gedanken und Ideen | ||||||
| 13 | begriff und einsah kan ich allein hoffen daß er in kurzer Zeit zu | ||||||
| 14 | demienigen Begriffe meines Systems gelangen werde der allein ein | ||||||
| 15 | entscheidendes Urtheil über dessen Werth möglich macht. Wem aber | ||||||
| 16 | nur der Zustand darinn Metaphysik nicht allein ietzt liegt, sondern | ||||||
| 17 | auch darinn sie iederzeit gewesen ist, deutlich einleuchtet der wird nach | ||||||
| 18 | einer flüchtigen Durchlesung es schon der Mühe werth finden wenigstens | ||||||
| 19 | in dieser Art der Bearbeitung so lange alles liegen zu lassen bis das | ||||||
| 20 | wovon hier die Frage ist, völlig ausgemacht worden und da kan | ||||||
| 21 | meine Schrift sie mag stehen oder fallen nicht anders als eine gänzliche | ||||||
| 22 | Veränderung der Denkungsart in diesem uns so innigst angelegenen | ||||||
| 23 | Theile menschlicher Erkenntnisse hervorbringen. Meines Theils habe | ||||||
| 24 | ich nirgend Blendwerke zu machen gesucht und Scheingründe aufgetrieben | ||||||
| 25 | um mein System dadurch zu flicken sondern lieber Iahre | ||||||
| 26 | verstreichen lassen um zu einer vollendeten Einsicht zu gelangen die | ||||||
| 27 | mir vollig gnug thun könte zu welcher ich auch gelanget bin so | ||||||
| 28 | daß ich (welches niemals bey irgend einer andern meiner Schriften | ||||||
| 29 | der Fall gewesen) auch ietzt nichts in der Hauptsache antreffe was ich | ||||||
| 30 | zu ändern wünschte ob ich gleich hin und wieder kleine Zusätze und | ||||||
| 31 | einige Erläuterungen gerne hinzu gefügt haben möchte. Schweer wird | ||||||
| 32 | diese Art Nachforschung immer bleiben denn sie enthält die Metaphysik | ||||||
| 33 | von der Metaphysik und gleichwohl habe ich einen Plan in Gedanken | ||||||
| 34 | nach welchem sie auch Popularität bekommen kan die aber | ||||||
| 35 | im Anfange da der Grund aufzuräumen war übel angebracht gewesen | ||||||
| 36 | seyn würde zumal das Ganze dieser Art der Erkentnis nach | ||||||
| 37 | aller seiner Articulation vor Augen gestellt werden mußte; sonst hätte | ||||||
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