| Kant: AA X, Briefwechsel 1778 , Seite 244 | |||||||
| Zeile: 
 | Text (Kant): 
 | 
 
 | 
 
 | ||||
| 01 | Voraussetzung, daß ich den Mann kenne, den ich es wage zu ungestümmen; | ||||||
| 02 | es dürfte kein anderer seyn als der beständig im Mittelpunkt | ||||||
| 03 | meines Kopfs u. meines Herzens sitzt und residirt! | ||||||
| 04 | Ich genieße diesen Winter eine Glückseligkeit, zu welcher meine | ||||||
| 05 | Phantasie nie in ihren Wünschen hatte versteigen können. Ich verkündige | ||||||
| 06 | heute bereits zun zwanzigsten mahl ofentlich Ihre philosophische | ||||||
| 07 | Lehren mit einem Beyfall, der über alle meine Erwartung gehet. Die | ||||||
| 08 | Anzahl meiner Zuhörer nimt täglich zu, sie ist schon bis auf einige | ||||||
| 09 | u. dreyßig herangewachsen, lauter Leute vom Stande und Gelahrte | ||||||
| 10 | von Profeßion. Profeßores der Medizin, Prediger Geheimräthe, Bergräthe, | ||||||
| 11 | u. s. w. unter denen unser würdiger Minister das Haupt ist; | ||||||
| 12 | er ist imer der erste auf meiner Stube u. der letzte der hinweg gehet, | ||||||
| 13 | und hat bisher, so wie keiner von den übrigen noch nie eine Stunde | ||||||
| 14 | versäumt. Ich muß es gestehen mein theurster Lehrer, daß dieses | ||||||
| 15 | Collegium von vielen Seiten betrachtet, eine der merkwürdigsten Erscheinungen | ||||||
| 16 | ist; und es vergehet kein Tag, wo ich nicht darüber nachdenke, | ||||||
| 17 | wie unmöglich es ist, daß ich durch alle meine Handlungen in | ||||||
| 18 | der Welt, den zehnten Theil der Glückseligkeit Ihnen vergelten könnte, | ||||||
| 19 | die ich durch Sie, bloß u. allein durch Sie, in einer einzigen Stunde genieße! | ||||||
| 20 | Ich habe nun die helfte der Logic zurückgelegt, u. denke bis | ||||||
| 21 | Januarius mit der andern Helfte zu Ende zu kommen. Ich besitze | ||||||
| 22 | einige sehr vollkommene Heften Ihrer logischen Vorlesungen, u. diesen | ||||||
| 23 | habe ich den Beyfall zu danken; nur hier u. da haben mich Ihre so | ||||||
| 24 | fruchtbarn Ideen, auf Aussichten geführt, die meinen Zuhörern gefallen. | ||||||
| 25 | Der Grund zu allen liegt in Ihnen. | ||||||
| 26 | Es wird nunmehr lediglich von Ihnen abhängen, ob ich mich in | ||||||
| 27 | der Metaphisick werde erhalten könen. Ich besitze auch nicht einmahl | ||||||
| 28 | unvollständige Abschriften von Ihren Vorlesungen; u. gleichwohl wird | ||||||
| 29 | mir das ganze Geschäfft ohne diese fast unmöglich werden. Von Grund | ||||||
| 30 | auf, so ganz ungerichtet, allein zu bauen, dazu habe ich weder Kräfte, | ||||||
| 31 | noch Zeit davon der größte Theil von meinen praktischen Geschäfften | ||||||
| 32 | mir entrissen wird. | ||||||
| 33 | Ich bitte also nochmahls, mir mit erster Post, wenn es nun mit den | ||||||
| 34 | sehr vollständigen Heften schon noch einigen Anstand haben muß, wenigstens | ||||||
| 35 | einige unvollständigen zu schicken. Die Verschiedenheit, denke ich, wird die | ||||||
| 36 | Unvollständigkeit einigermaßen ersetzen; indem jeder doch Etwas anders | ||||||
| 37 | sich merkt. Vorzüglich bitte ich vor der Hand um eine Ontologie u. Cosmologie. | ||||||
| [ Seite 243 ] [ Seite 245 ] [ Inhaltsverzeichnis ] | |||||||