| Kant: AA X, Briefwechsel 1770 , Seite 114 | |||||||
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| 01 | hat zeigen wollen. Die anscheinende Dunkelheit selbst, die an einigen | ||||||
| 02 | Stellen zurük geblieben ist, verräth einem geübten Leser, die Beziehung | ||||||
| 03 | auf ein Ganzes, das ihm noch nicht vorgelegt worden ist. Indessen | ||||||
| 04 | wäre, zum Besten der Metaphysik, die leider! itzt so sehr gefallen ist, | ||||||
| 05 | zu wünschen, daß Sie den Vorrath Ihrer Meditationen uns nicht zu | ||||||
| 06 | lange vorenthielten. Das menschliche Leben ist kurz, und wie leicht | ||||||
| 07 | überrascht uns das Ende, indem wir immer den Vorsatz haben, es noch | ||||||
| 08 | besser zu machen. Und warum scheuen Sie es auch so sehr, etwas | ||||||
| 09 | zu wiederholen, das schon vor Ihnen gesagt worden ist? In Verbindung | ||||||
| 10 | mit denen Ihnen eigenen Gedanken erscheinet das Alte selbst doch | ||||||
| 11 | immer von einer neuen Seite, und bietet Aussichten dar, an die noch | ||||||
| 12 | nicht gedacht worden ist. Da Sie übrigens vorzüglich das Talent | ||||||
| 13 | besitzen, für viele Leser zu schreiben; so hoffet man, daß Sie Sich | ||||||
| 14 | nicht immer auf die wenige Adepten einschränken werden, die sich nur | ||||||
| 15 | nach dem Neuen umsehen, und aus dem halbgesagten das Verschwiegene | ||||||
| 16 | zu errathen wissen. | ||||||
| 17 | Da ich mich nicht ganz zu diesen Adepten zehle; so wage ich | ||||||
| 18 | es nicht, Ihnen die Gedanken alle mitzutheilen, die Ihre Dissert. | ||||||
| 19 | bey mir veranlasset hat. Erlauben Sie mir nur diejenigen herzusetzen, | ||||||
| 20 | die mehr Nebenbetrachtungen, als Ihre Hauptideen angehen. | ||||||
| 21 | Seite 2. 3. - Aehnliche Gedanken vom Unendlichen in der ausgedehnten | ||||||
| 22 | Größe, obgleich nicht so scharfsinnig ausgeführt, finden sich | ||||||
| 23 | in der zwoten Auflage der Philosophischen Schrifften, die itzt | ||||||
| 24 | unter der Presse ist, und davon ich die Ehre haben werde ein Exemplar | ||||||
| 25 | zu übersenden. Herr Herz kan bezeugen, daß alles schon zum Drucke | ||||||
| 26 | fertig war, als ich Ihre Schrifft zu sehen bekam. Auch habe ich ihm | ||||||
| 27 | gleich Anfangs mein Vergnügen darüber zu erkennen gegeben, da | ||||||
| 28 | ein Mann von Ihrem Gewichte mit mir in diesem Punkte einstimmig | ||||||
| 29 | denket. | ||||||
| 30 | Seite 11. Den Lord Shaftesbury zehlen Sie zu denen, die dem | ||||||
| 31 | Epikur wenigstens von ferne folgen. Ich habe bisher geglaubt, man | ||||||
| 32 | müsse den moralischen Instinkt des Lords von der Wollust des Epikurs | ||||||
| 33 | sorgfältig unterscheiden. Ienes ist dem Engländer blos ein angebohrnes | ||||||
| 34 | Vermögen, das Gute und Böse durch das bloße Gefühl zu | ||||||
| 35 | unterscheiden. Dem Epikur aber sollte die Wollust nicht nur criterium | ||||||
| 36 | boni, sondern Sumum bonum selbst seyn. | ||||||
| 37 | Seite 15. quid significet vocula post etc. Diese Schwierigkeit | ||||||
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