Kant: AA X, Briefwechsel 1768 , Seite 077 |
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| 01 | auch deßwegen angefangen, um mit dem grösten Geschichtschreiber | ||||||
| 02 | unter den Neuern auch seine Geschichte durchweg durchraisonniren zu | ||||||
| 03 | können, u. ich ärgere mich, daß sein neuer Abriß von Großbrittanien | ||||||
| 04 | einem so halbklugen Uebersetzer in die Hand gefallen, der weit ist, | ||||||
| 05 | wenn er uns an manchen Orten auch halb klug läßt. | ||||||
| 06 | Aber warum vergeßen Sie, mein liebenswürdiger Philosoph! zu | ||||||
| 07 | Ihrem Paar den dritten Mann? der eben so viel gesellige Laune, | ||||||
| 08 | eben so viel Menschliche Weltweisheit hat - - den Freund unsers | ||||||
| 09 | alten Leibnitz, dem dieser ungemein viel schuldig ist, u. den er sehr | ||||||
| 10 | gerne gelesen - - den Philosophischen Spötter, der mehr Wahrheit | ||||||
| 11 | herauslacht, als andre heraushusten, oder geifern - - kurz | ||||||
| 12 | den Grafen Shaftesburi. Es ist ein Elend, daß die Sittenlehren | ||||||
| 13 | deßelben u. seine Untersuchungen über die Tugend, u. neuerlich seine | ||||||
| 14 | Abhandlungen über den Enthusiasmus, u. die Laune in so mittelmäßige | ||||||
| 15 | Hände gefallen sind, die uns halb an ihm vereckeln, wohin | ||||||
| 16 | ich insonderheit das Mischmasch von langen u. tollen Widerlegungen | ||||||
| 17 | des neuesten Übersetzers rechne. Aber sonst, ob mir gleich das | ||||||
| 18 | Criterium der Wahrheit bei ihm, das bei ihm Belachenswürdigkeit | ||||||
| 19 | ist, selbst lächerlich scheint, sonst ist dieser Autor mein so lieber Gesellschafter, | ||||||
| 20 | daß ich sehr gern auch Ihre Meinung für ihn hätte. | ||||||
| 21 | Laßen Sie doch ja das dunkle rauhe Gedicht, an das Sie gedenken, | ||||||
| 22 | in seiner Nacht umkommen. Ehe Pope in ihm seyn sollte, | ||||||
| 23 | ehe ist in unserm Lindner der scharfbestimmte Aristoteles und in | ||||||
| 24 | meinem Schlegel das Muster aller Urbanität. | ||||||
| 25 | Sie geben mir von Ihrer werdenden Moral Nachricht, und wie | ||||||
| 26 | sehr wünschte ich, dieselbe schon geworden zu sehen. Fügen Sie in | ||||||
| 27 | dem, was Gut ist, ein solches Werk zur Cultur unsers Iahrhunderts | ||||||
| 28 | hinzu, als Sie es gethan, in dem was Schön u. Erhaben ist. | ||||||
| 29 | Ueber die letzte Materie lese ich jetzt mit vielem Vergnügen ein Werk | ||||||
| 30 | eines sehr Philosophischen Britten, das Sie auch französisch haben | ||||||
| 31 | können. Hier ist, weil es eben vor mir liegt, sein Titel: Recherches | ||||||
| 32 | philosophiques sur l'origine des Idees, que nous avons du Beau et du | ||||||
| 33 | Sublime . Er dringt in manchen Stellen tiefer, so wie Sie auf | ||||||
| 34 | manchen Seiten unsre Aussichten mehr zu generalisiren u. zu | ||||||
| 35 | contrastiren wissen: u. es ist eine Wollust zween so originale Denker | ||||||
| 36 | jeder seinen Weg nehmen zu sehen, u. sich wechselsweise wieder zu | ||||||
| 37 | begegnen. | ||||||
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