Kant: AA VI, Die Metaphysik der Sitten. ... , Seite 436 |
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| 01 | (wer es auch sei) ausgesonnene Herabsetzung seines eigenen moralischen | ||||||
| 02 | Werths (Heuchelei und Schmeichelei)*) ist falsche (erlogene) Demuth und | ||||||
| 03 | als Abwürdigung seiner Persönlichkeit gegen sich selbst entgegen. | ||||||
| 05 | Aus unserer aufrichtigen und genauen Vergleichung mit dem moralischen | ||||||
| 06 | Gesetz (dessen Heiligkeit und Strenge) muß unvermeidlich wahre | ||||||
| 07 | Demuth folgen: aber daraus, daß wir einer solchen inneren Gesetzgebung | ||||||
| 08 | fähig sind, daß der (physische) Mensch den (moralischen) Menschen in seiner | ||||||
| 09 | eigenen Person zu verehren sich gedrungen fühlt, zugleich Erhebung | ||||||
| 10 | und die höchste Selbstschätzung, als Gefühl seines inneren Werths ( valor ), | ||||||
| 11 | nach welchem er für keinen Preis ( pretium ) feil ist und eine unverlierbare | ||||||
| 12 | Würde ( dignitas interna ) besitzt, die ihm Achtung ( reverentia ) gegen sich | ||||||
| 13 | selbst einflößt. | ||||||
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| 15 | Mehr oder weniger kann man diese Pflicht in Beziehung auf die | ||||||
| 16 | Würde der Menschheit in uns, mithin auch gegen uns selbst in folgenden | ||||||
| 17 | Beispielen erkennbar machen. | ||||||
| 18 | Werdet nicht der Menschen Knechte; - laßt euer Recht nicht ungeahndet | ||||||
| 19 | von Anderen mit Füßen treten. - Macht keine Schulden, für die | ||||||
| 20 | ihr nicht volle Sicherheit leistet. - Nehmt nicht Wohlthaten an, die ihr | ||||||
| 21 | entbehren könnt, und seid nicht Schmarotzer, oder Schmeichler, oder gar | ||||||
| 22 | (was freilich nur im Grad von dem Vorigen unterschieden ist) Bettler. | ||||||
| 23 | Daher seid wirthschaftlich, damit ihr nicht bettelarm werdet. - Das Klagen | ||||||
| 24 | und Winseln, selbst das bloße Schreien bei einem körperlichen Schmerz | ||||||
| 25 | ist euer schon unwerth, am meisten, wenn ihr euch bewußt seid ihn selbst | ||||||
| 26 | verschuldet zu haben: daher die Veredlung (Abwendung der Schmach) des | ||||||
| 27 | Todes eines Delinquenten durch die Standhaftigkeit, mit der er stirbt. | ||||||
| 28 | Das Hinknien oder Hinwerfen zur Erde, selbst um die Verehrung himmlischer | ||||||
| 29 | Gegenstände sich dadurch zu versinnlichen, ist der Menschenwürde | ||||||
| 30 | zuwider, so wie die Anrufung derselben in gegenwärtigen Bildern; denn | ||||||
| 31 | ihr demüthigt euch alsdann nicht unter einem Ideal, das euch eure | ||||||
| *) Heucheln (eigentlich häuchlen) scheint vom ächzenden, die Sprache unterbrechenden Hauch (Stoßseufzer) abgeleitet zu sein; dagegen Schmeichlen vom Schmiegen, welches als Habitus Schmiegeln und endlich von den Hochdeutschen Schmeicheln genannt worden ist, abzustammen. | |||||||
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