| Kant: AA VI, Die Metaphysik der Sitten. ... , Seite 376 | |||||||
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| 01 | zurückzugehen, um den Pflichtbegriff, von allem Empirischen (jedem | ||||||
| 02 | Gefühl) gereinigt, doch zur Triebfeder zu machen. Denn was kann man | ||||||
| 03 | sich für einen Begriff von einer Kraft und herculischer Stärke machen, um | ||||||
| 04 | die lastergebärende Neigungen zu überwältigen, wenn die Tugend ihre | ||||||
| 05 | Waffen aus der Rüstkammer der Metaphysik entlehnen soll? Welche eine | ||||||
| 06 | Sache der Speculation ist, die nur wenig Menschen zu handhaben wissen. | ||||||
| 07 | Daher fallen auch alle Tugendlehren in Hörsälen, von Kanzeln und in | ||||||
| 08 | Volksbüchern, wenn sie mit metaphysischen Brocken ausgeschmückt werden, | ||||||
| 09 | ins Lächerliche. - Aber darum ist es doch nicht unnütz, viel weniger | ||||||
| 10 | lächerlich, den ersten Gründen der Tugendlehre in einer Metaphysik nachzuspüren; | ||||||
| 11 | denn irgend einer muß doch als Philosoph auf die ersten Gründe | ||||||
| 12 | dieses Pflichtbegriffs hinausgehen: weil sonst weder Sicherheit noch Lauterkeit | ||||||
| 13 | für die Tugendlehre überhaupt zu erwarten wäre. Sich desfalls | ||||||
| 14 | auf ein gewisses Gefühl, welches man seiner davon erwarteten Wirkung | ||||||
| 15 | halber moralisch nennt, zu verlassen, kann auch wohl dem Volkslehrer | ||||||
| 16 | gnügen: indem dieser zum Probirstein einer Tugendpflicht, ob sie es sei | ||||||
| 17 | oder nicht, die Aufgabe zu beherzigen verlangt: "wie, wenn nun ein jeder | ||||||
| 18 | in jedem Fall deine Maxime zum allgemeinen Gesetz machte, würde eine | ||||||
| 19 | solche wohl mit sich selbst zusammenstimmen können?" Aber wenn es blos | ||||||
| 20 | Gefühl wäre, was auch diesen Satz zum Probirstein zu nehmen uns zur | ||||||
| 21 | Pflicht machte, so wäre diese doch alsdann nicht durch die Vernunft dictirt, | ||||||
| 22 | sondern nur instinctmäßig, mithin blindlings dafür angenommen. | ||||||
| 23 | Allein kein moralisches Princip gründet sich in der That, wie man | ||||||
| 24 | wohl wähnt, auf irgend einem Gefühl, sondern ist wirklich nichts anders, | ||||||
| 25 | als dunkel gedachte Metaphysik, die jedem Menschen in seiner Vernunftanlage | ||||||
| 26 | beiwohnt; wie der Lehrer es leicht gewahr wird, der seinen Lehrling | ||||||
| 27 | über den Pflichtimperativ und dessen Anwendung auf moralische Beurtheilung | ||||||
| 28 | seiner Handlungen sokratisch zu katechisiren versucht. - Der | ||||||
| 29 | Vortrag desselben (die Technik) darf eben nicht allemal metaphysisch und | ||||||
| 30 | die Sprache scholastisch sein, wenn jener den Lehrling nicht etwa zum Philosophen | ||||||
| 31 | bilden will. Aber der Gedanke muß bis auf die Elemente der | ||||||
| 32 | Metaphysik zurück gehen, ohne die keine Sicherheit und Reinigkeit, ja selbst | ||||||
| 33 | nicht einmal bewegende Kraft in der Tugendlehre zu erwarten ist. | ||||||
| 34 | Geht man von diesem Grundsatze ab und fängt vom pathologischen, | ||||||
| 35 | oder dem rein=ästhetischen, oder auch dem moralischen Gefühl (dem subjectiv | ||||||
| 36 | praktischen statt des objektiven), d. i. von der Materie des Willens | ||||||
| 37 | dem Zweck, nicht von der Form desselben, d. i. dem Gesetz, an, um von | ||||||
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