| Kant: AA VI, Die Metaphysik der Sitten. ... , Seite 355 | |||||||
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| 01 | frommer Wunsch bliebe, so betrügen wir uns doch gewiß nicht mit der | ||||||
| 02 | Annahme der Maxime dahin unablässig zu wirken; denn diese ist Pflicht; | ||||||
| 03 | das moralische Gesetz aber in uns selbst für betrüglich anzunehmen, würde | ||||||
| 04 | den Abscheu erregenden Wunsch hervorbringen, lieber aller Vernunft zu | ||||||
| 05 | entbehren und sich seinen Grundsätzen nach mit den übrigen Thierclassen | ||||||
| 06 | in einen gleichen Mechanism der Natur geworfen anzusehen. | ||||||
| 07 | Man kann sagen, daß diese allgemeine und fortdauernde Friedensstiftung | ||||||
| 08 | nicht bloß einen Theil, sondern den ganzen Endzweck der Rechtslehre | ||||||
| 09 | innerhalb den Grenzen der bloßen Vernunft ausmache; denn der | ||||||
| 10 | Friedenszustand ist allein der unter Gesetzen gesicherte Zustand des | ||||||
| 11 | Mein und Dein in einer Menge einander benachbarter Menschen, mithin | ||||||
| 12 | die in einer Verfassung zusammen sind, deren Regel aber nicht von der | ||||||
| 13 | Erfahrung derjenigen, die sich bisher am besten dabei befunden haben, | ||||||
| 14 | als einer Norm für Andere, sondern die durch die Vernunft a priori von | ||||||
| 15 | dem Ideal einer rechtlichen Verbindung der Menschen unter öffentlichen | ||||||
| 16 | Gesetzen überhaupt hergenommen werden muß, weil alle Beispiele (als | ||||||
| 17 | die nur erläutern, aber nichts beweisen können) trüglich sind, und so allerdings | ||||||
| 18 | einer Metaphysik bedürfen, deren Nothwendigkeit diejenigen, die | ||||||
| 19 | dieser spotten, doch unvorsichtiger Weise selbst zugestehen, wenn sie z. B., | ||||||
| 20 | wie sie es oft thun, sagen: "Die beste Verfassung ist die, wo nicht die | ||||||
| 21 | Menschen, sondern die Gesetze machthabend sind." Denn was kann mehr | ||||||
| 22 | metaphysisch sublimirt sein, als eben diese Idee, welche gleichwohl nach | ||||||
| 23 | jener ihrer eigenen Behauptung die bewährteste objective Realität hat, | ||||||
| 24 | die sich auch in vorkommenden Fällen leicht darstellen läßt, und welche | ||||||
| 25 | allein, wenn sie nicht revolutionsmäßig, durch einen Sprung, d. i. durch | ||||||
| 26 | gewaltsame Umstürzung einer bisher bestandenen fehlerhaften - (denn da | ||||||
| 27 | würde sich zwischeninne ein Augenblick der Vernichtung alles rechtlichen | ||||||
| 28 | Zustandes ereignen), sondern durch allmähliche Reform nach festen Grundsätzen | ||||||
| 29 | versucht und durchgeführt wird, in continuirlicher Annäherung zum | ||||||
| 30 | höchsten politischen Gut, zum ewigen Frieden, hinleiten kann. | ||||||
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