| Kant: AA VI, Die Religion innerhalb der ... , Seite 019 | |||||||
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| 06 | Daß die Welt im Argen liege, ist eine Klage, die so alt ist, als die | ||||||
| 07 | Geschichte, selbst als die noch ältere Dichtkunst, ja gleich alt mit der ältesten | ||||||
| 08 | unter allen Dichtungen, der Priesterreligion. Alle lassen gleichwohl | ||||||
| 09 | die Welt vom Guten anfangen: vom goldenen Zeitalter, vom Leben im | ||||||
| 10 | Paradiese, oder von einem noch glücklichern in Gemeinschaft mit himmlischen | ||||||
| 11 | Wesen. Aber dieses Glück lassen sie bald wie einen Traum verschwinden | ||||||
| 12 | und nun den Verfall ins Böse (das Moralische, mit welchem | ||||||
| 13 | das Physische immer zu gleichen Paaren ging) zum Ärgern mit accelerirtem | ||||||
| 14 | Falle eilen*): so daß wir jetzt (dieses Jetzt aber ist so alt, als die | ||||||
| 15 | Geschichte) in der letzten Zeit leben, der jüngste Tag und der Welt Untergang | ||||||
| 16 | vor der Thür ist, und in einigen Gegenden von Hindostan der Weltrichter | ||||||
| 17 | und Zerstörer Ruttren (sonst auch Siba oder Siwen genannt) | ||||||
| 18 | schon als der jetzt machthabende Gott verehrt wird, nachdem der Welterhalter | ||||||
| 19 | Wischnu, seines Amts, das er vom Weltschöpfer Brahma übernahm, | ||||||
| 20 | müde, es schon seit Jahrhunderten niedergelegt hat. | ||||||
| 21 | Neuer, aber weit weniger ausgebreitet ist die entgegengesetzte heroische | ||||||
| 22 | Meinung, die wohl allein unter Philosophen und in unsern Zeiten | ||||||
| 23 | vornehmlich unter Pädagogen Platz gefunden hat: daß die Welt gerade | ||||||
| *) Aetas parentum peior avis tulit Nos nequiores, mox daturos Progeniem vitiosiorem. Horat. | |||||||
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