Kant: AA IV, Grundlegung zur Metaphysik der ... , Seite 407

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 In der That ist es schlechterdings unmöglich, durch Erfahrung einen      
  02 einzigen Fall mit völliger Gewißheit auszumachen, da die Maxime einer      
  03 sonst pflichtmäßigen Handlung lediglich auf moralischen Gründen und auf      
  04 der Vorstellung seiner Pflicht beruht habe. Denn es ist zwar bisweilen      
  05 der Fall, daß wir bei der schärfsten Selbstprüfung gar nichts antreffen,      
  06 was außer dem moralischen Grunde der Pflicht mächtig genug hätte sein      
  07 können, uns zu dieser oder jener guten Handlung und so großer Aufopferung      
  08 zu bewegen; es kann aber daraus gar nicht mit Sicherheit geschlossen      
  09 werden, daß wirklich gar kein geheimer Antrieb der Selbstliebe unter der      
  10 bloßen Vorspiegelung jener Idee die eigentliche bestimmende Ursache des      
  11 Willens gewesen sei, dafür wir denn gerne uns mit einem uns fälschlich      
  12 angemaßten edlern Bewegungsgrunde schmeicheln, in der That aber selbst      
  13 durch die angestrengteste Prüfung hinter die geheimen Triebfedern niemals      
  14 völlig kommen können, weil, wenn vom moralischen Werthe die Rede      
  15 ist, es nicht auf die Handlungen ankommt, die man sieht, sondern auf jene      
  16 innere Principien derselben, die man nicht sieht.      
           
  17 Man kann auch denen, die alle Sittlichkeit als bloßes Hirngespinst      
  18 einer durch Eigendünkel sich selbst übersteigenden menschlichen Einbildung      
  19 verlachen, keinen gewünschteren Dienst thun, als ihnen einzuräumen, daß      
  20 die Begriffe der Pflicht (so wie man sich auch aus Gemächlichkeit gerne      
  21 überredet, daß es auch mit allen übrigen Begriffen bewandt sei) lediglich      
  22 aus der Erfahrung gezogen werden mußten; denn da bereitet man jenen      
  23 einen sichern Triumph. Ich will aus Menschenliebe einräumen, daß noch      
  24 die meisten unserer Handlungen pflichtmäßig seien; sieht man aber ihr      
  25 Tichten und Trachten näher an, so stößt man allenthalben auf das liebe      
  26 Selbst, was immer hervorsticht, worauf und nicht auf das strenge Gebot      
  27 der Pflicht, welches mehrmals Selbstverleugnung erfordern würde, sich      
  28 ihre Absicht stützt. Man braucht auch eben kein Feind der Tugend, sondern      
  29 nur ein kaltblütiger Beobachter zu sein, der den lebhaftesten Wunsch für      
  30 das Gute nicht sofort für dessen Wirklichkeit hält, um (vornehmlich mit      
  31 zunehmenden Jahren und einer durch Erfahrung theils gewitzigten, theils      
  32 zum Beobachten geschärften Urtheilskraft) in gewissen Augenblicken zweifelhaft      
  33 zu werden, ob auch wirklich in der Welt irgend wahre Tugend angetroffen      
  34 werde. Und hier kann uns nun nichts vor dem gänzlichen Abfall      
  35 von unseren Ideen der Pflicht bewahren und gegründete Achtung gegen      
  36 ihr Gesetz in der Seele erhalten, als die klare Überzeugung, daß, wenn      
  37 es auch niemals Handlungen gegeben habe, die aus solchen reinen Quellen      
           
     

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