Kant: AA VI, Die Religion innerhalb der ... , Seite 161 |
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01 | welche Gebote nicht bloß Tugendgesetze, sondern Vorschriften der | ||||||
02 | Heiligkeit sind, der wir nachstreben sollen, in Ansehung deren aber die | ||||||
03 | bloße Nachstrebung Tugend heißt. - Denen also, die dieses moralische | ||||||
04 | Gute mit der Hand im Schooße, als eine himmlische Gabe von oben herab, | ||||||
05 | ganz passiv zu erwarten meinen, spricht er alle Hoffnung dazu ab. | ||||||
06 | Wer die natürliche Anlage zum Guten, die in der menschlichen Natur (als | ||||||
07 | ein ihm anvertrautes Pfund) liegt, unbenutzt läßt, im faulen Vertrauen, | ||||||
08 | ein höherer moralischer Einfluß werde wohl die ihm mangelnde sittliche | ||||||
09 | Beschaffenheit und Vollkommenheit sonst ergänzen, dem droht er an, daß | ||||||
10 | selbst das Gute, was er aus natürlicher Anlage möchte gethan haben, um | ||||||
11 | dieser Verabsäumung willen ihm nicht zu statten kommen solle (XXV, 29). | ||||||
12 | Was nun die dem Menschen sehr natürliche Erwartung eines dem | ||||||
13 | sittlichen Verhalten des Menschen angemessenen Looses in Ansehung der | ||||||
14 | Glückseligkeit betrifft, vornehmlich bei so manchen Aufopferungen der | ||||||
15 | letzteren, die des ersteren wegen haben übernommen werden müssen, so | ||||||
16 | verheißt er (V, 11. 12) dafür Belohnung einer künftigen Welt; aber nach | ||||||
17 | Verschiedenheit der Gesinnungen bei diesem Verhalten denen, die ihre | ||||||
18 | Pflicht um der Belohnung (oder auch Lossprechung von einer verschuldeten | ||||||
19 | Strafe) willen thaten, auf andere Art als den besseren Menschen, | ||||||
20 | die sie bloß um ihrer selbst willen ausübten. Der, welchen der Eigennutz, | ||||||
21 | der Gott dieser Welt, beherrscht, wird, wenn er, ohne sich von ihm loszusagen, | ||||||
22 | ihn nur durch Vernunft verfeinert und über die enge Grenze des | ||||||
23 | Gegenwärtigen ausdehnt, als ein solcher (luc. XVI, 3-9) vorgestellt, der | ||||||
24 | jenen seinen Herrn durch sich selbst betrügt und ihm Aufopferungen zum | ||||||
25 | Behuf der Pflicht abgewinnt. Denn wenn er es in Gedanken faßt, daß | ||||||
26 | er doch einmal, vielleicht bald die Welt werde verlassen müssen, daß er | ||||||
27 | von dem, was er hier besaß, in die andre nichts mitnehmen könne, so entschließt | ||||||
28 | er sich wohl, das, was er oder sein Herr, der Eigennutz, hier an | ||||||
29 | dürftigen Menschen gesetzmäßig zu fordern hatte, von seiner Rechnung abzuschreiben | ||||||
30 | und sich gleichsam dafür Anweisungen, zahlbar in einer andern | ||||||
31 | Welt, anzuschaffen; wodurch er zwar mehr klüglich als sittlich, was | ||||||
32 | die Triebfeder solcher wohlthätigen Handlungen betrifft, aber doch dem | ||||||
33 | sittlichen Gesetze, wenigstens dem Buchstaben nach, gemäß verfährt und | ||||||
34 | hoffen darf, daß auch dieses ihm in der Zukunft nicht unvergolten bleiben | ||||||
35 | dürfe*). Wenn man hiermit vergleicht, was von der Wohlthätigkeit an Dürftigen | ||||||
*) Wir wissen von der Zukunft nichts und sollen auch nicht nach mehrerem forschen, als was mit den Triebfedern der Sittlichkeit und dem Zwecke derselben [Seitenumbruch] in vernunftmäßiger Verbindung steht. Dahin gehört auch der Glaube: daß es keine gute Handlung gebe, die nicht auch in der künftigen Welt für den, der sie ausübt, ihre gute Folge haben werde; mithin der Mensch, er mag sich am Ende des Lebens auch noch so verwerflich finden, sich dadurch doch nicht müsse abhalten lassen, wenigstens noch eine gute Handlung, die in seinem Vermögen ist, zu thun, und daß er dabei zu hoffen Ursache habe, sie werde nach dem Maße, als er hierin eine reine gute Absicht hegt, noch immer von mehrerem Werthe sein, als jene thatlosen Entsündigungen, die, ohne etwas zur Verminderung der Schuld beizutragen, den Mangel guter Handlungen ersetzen sollen. | |||||||
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