Kant: AA VI, Die Religion innerhalb der ... , Seite 160 |
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01 | (V. 34 - 37); - daß der natürliche, aber böse Hang des menschlichen | ||||||
02 | Herzens ganz umgekehrt werden solle, das süße Gefühl der Rache in Duldsamkeit | ||||||
03 | (v. 39. 40) und der Haß seiner Feinde in Wohlthätigkeit (V. 44) | ||||||
04 | übergehen müsse. So sagt er, sei er gemeint, dem jüdischen Gesetze völlig | ||||||
05 | Genüge zu thun (V. 17), wobei aber sichtbarlich nicht Schriftgelehrsamkeit, | ||||||
06 | sondern reine Vernunftreligion die Auslegerin desselben sein muß; | ||||||
07 | denn nach dem Buchstaben genommen, erlaubte es gerade das Gegentheil | ||||||
08 | von diesem allem. - Er läßt überdem doch auch unter den Benennungen | ||||||
09 | der engen Pforte und des schmalen Weges die Mißdeutung des Gesetzes | ||||||
10 | nicht unbemerkt, welche sich die Menschen erlauben, um ihre wahre moralische | ||||||
11 | Pflicht vorbeizugehen und sich dafür durch Erfüllung der Kirchenpflicht | ||||||
12 | schadlos zu halten (VII, 13)*). Von diesen reinen Gesinnungen | ||||||
13 | fordert er gleichwohl, daß sie sich auch in Thaten beweisen sollen (V. 16), | ||||||
14 | und spricht dagegen denen ihre hinterlistige Hoffnung ab, die den Mangel | ||||||
15 | derselben durch Anrufung und Hochpreisung des höchsten Gesetzgebers in | ||||||
16 | der Person seines Gesandten zu ersetzen und sich Gunst zu erschmeicheln | ||||||
17 | meinen (V. 21). Von diesen Werken will er, daß sie um des Beispiels | ||||||
18 | willen zur Nachfolge auch öffentlich geschehen sollen (V, 16) und zwar in | ||||||
19 | fröhlicher Gemüthsstimmung, nicht als knechtisch abgedrungene Handlungen | ||||||
20 | (VI, 16), und daß so von einem kleinen Anfange der Mittheilung und | ||||||
21 | Ausbreitung solcher Gesinnungen, als einem Samenkorne in gutem Acker | ||||||
22 | oder einem Ferment des Guten, sich die Religion durch innere Kraft allmählich | ||||||
23 | zu einem Reiche Gottes vermehren würde (XIII, 31. 32. 33). | ||||||
24 | Endlich faßt er alle Pflichten 1) in einer allgemeinen Regel zusammen | ||||||
25 | (welche sowohl das innere, als das äußere moralische Verhältniß der Menschen | ||||||
26 | in sich begreift), nämlich: thue deine Pflicht aus keiner andern Triebfeder, | ||||||
27 | als der unmittelbaren Werthschätzung derselben, d. i. liebe Gott (den | ||||||
28 | Gesetzgeber aller Pflichten) über alles; 2) einer besonderen Regel, nämlich | ||||||
29 | die das äußere Verhältniß zu andern Menschen als allgemeine Pflicht | ||||||
30 | betrifft: liebe einen jeden als dich selbst, d. i. befördere ihr Wohl aus unmittelbarem, | ||||||
31 | nicht von eigennützigen Triebfedern abgeleitetem Wohlwollen; | ||||||
*) Die enge Pforte und der schmale Weg, der zum Leben führt, ist der des guten Lebenswandels; die weite Pforte und der breite Weg, den viele wandeln, ist die Kirche. Nicht als ob es an ihr und an ihren Satzungen liege, daß Menschen verloren werden, sondern daß das Gehen in dieselbe und Bekenntniß ihrer Statute oder Celebrirung ihrer Gebräuche für die Art genommen wird, durch die Gott eigentlich gedient sein will. | |||||||
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