Kant: AA VI, Die Religion innerhalb der ... , Seite 158

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 von selbst erhalten, mithin, ohne eine sichtbare Kirche zu werden, in ihrer      
  02 Allgemeinheit nicht fortpflanzen dürfte, sondern nur, wenn eine collective      
  03 Allgemeinheit, d. i. Vereinigung der Gläubigen in eine (sichtbare) Kirche      
  04 nach Principien einer reinen Vernunftreligion, dazu kommt, diese aber      
  05 aus jener Einhelligkeit nicht von selbst entspringt, oder auch, wenn sie errichtet      
  06 worden wäre, von ihren freien Anhängern (wie oben gezeigt worden)      
  07 nicht in einen beharrlichen Zustand als eine Gemeinschaft der      
  08 Gläubigen gebracht werden würde (indem keiner von diesen Erleuchteten      
  09 zu seinen Religionsgesinnungen der Mitgenossenschaft anderer an einer      
  10 solchen Religion zu bedürfen glaubt): so wird, wenn über die natürlichen,      
  11 durch bloße Vernunft erkennbaren Gesetze nicht noch gewisse statutarische,      
  12 aber zugleich mit gesetzgebendem Ansehen (Autorität) begleitete Verordnungen      
  13 hinzukommen, dasjenige doch immer noch mangeln, was eine besondere      
  14 Pflicht der Menschen, ein Mittel zum höchsten Zwecke derselben,      
  15 ausmacht, nämlich die beharrliche Vereinigung derselben zu einer allgemeinen      
  16 sichtbaren Kirche; welches Ansehen, ein Stifter derselben zu sein,      
  17 ein Factum und nicht bloß den reinen Vernunftbegriff voraussetzt.      
           
  18 Wenn wir nun einen Lehrer annehmen, von dem eine Geschichte (oder      
  19 wenigstens die allgemeine, nicht gründlich zu bestreitende Meinung) sagt,      
  20 daß er eine reine, aller Welt faßliche (natürliche) und eindringende Religion,      
  21 deren Lehren als uns aufbehalten wir desfalls selbst prüfen können,      
  22 zuerst öffentlich und sogar zum Trotz eines lästigen, zur moralischen Absicht      
  23 nicht abzweckenden herrschenden Kirchenglaubens (dessen Frohndienst      
  24 zum Beispiel jedes andern in der Hauptsache bloß statutarischen Glaubens,      
  25 dergleichen in der Welt zu derselben Zeit allgemein war, dienen kann)      
  26 vorgetragen habe; wenn wir finden, daß er jene allgemeine Vernunftreligion      
  27 zur obersten unnachläßlichen Bedingung eines jeden Religionsglaubens      
  28 gemacht habe und nun gewisse Statuta hinzugefügt habe, welche      
  29 Formen und Observanzen enthalten, die zu Mitteln dienen sollen, eine      
  30 auf jene Principien zu gründende Kirche zu Stande zu bringen: so kann      
  31 man unerachtet der Zufälligkeit und des willkürlichen seiner hierauf abzweckenden      
  32 Anordnungen der letzteren doch den Namen der wahren allgemeinen      
  33 Kirche, ihm selbst aber das Ansehen nicht streitig machen, die      
  34 Menschen zur Vereinigung in dieselbe berufen zu haben, ohne den Glauben      
  35 mit neuen belästigenden Anordnungen eben vermehren, oder auch aus      
  36 den von ihm zuerst getroffenen besondere heilige und für sich selbst als Religionsstücke      
  37 verpflichtende Handlungen machen zu wollen.      
           
           
     

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