Kant: AA VI, Die Religion innerhalb der ... , Seite 157 |
|||||||
Zeile:
|
Text (Kant):
|
|
|
||||
01 | das, was uns darin reine, mithin allgemeine Vernunftreligion | ||||||
02 | sein mag, herauszusuchen, vor uns nehmen, ohne dabei in das Geschäfte | ||||||
03 | derer, denen die Auslegung desselben Buchs als Inbegriffs positiver | ||||||
04 | Offenbarungslehren anvertraut ist, einzugreifen und ihre Auslegung, die | ||||||
05 | sich auf Gelehrsamkeit gründet, dadurch anfechten zu wollen. Es ist der | ||||||
06 | letzteren vielmehr vorteilhaft, da sie mit den Philosophen auf einen und | ||||||
07 | denselben Zweck, nämlich das Moralisch=Gute, ausgeht, diese durch ihre | ||||||
08 | eigene Vernunftgründe eben dahin zu bringen, wohin sie auf einem | ||||||
09 | andern Wege selbst zu gelangen denkt. - Dieses Buch mag nun hier das | ||||||
10 | N. T. als Quelle der christlichen Glaubenslehre sein. Unserer Absicht zufolge | ||||||
11 | wollen wir nun in zwei Abschnitten erstlich die christliche Religion | ||||||
12 | als natürliche und dann zweitens als gelehrte Religion nach ihrem Inhalte | ||||||
13 | und nach den darin vorkommenden Principien vorstellig machen. | ||||||
14 |
|
||||||
15 |
|
||||||
16 |
|
||||||
17 | Die natürliche Religion als Moral (in Beziehung auf die Freiheit | ||||||
18 | des Subjects), verbunden mit dem Begriffe desjenigen, was ihrem letzten | ||||||
19 | Zwecke Effect verschaffen kann, (dem Begriffe von Gott als moralischem | ||||||
20 | Welturheber) und bezogen auf eine Dauer des Menschen, die diesem ganzen | ||||||
21 | Zwecke angemessen ist (auf Unsterblichkeit), ist ein reiner praktischer | ||||||
22 | Vernunftbegriff, der ungeachtet seiner unendlichen Fruchtbarkeit doch nur | ||||||
23 | so wenig theoretisches Vernunftvermögen voraussetzt, daß man jeden Menschen | ||||||
24 | von ihr praktisch hinreichend überzeugen und wenigstens die Wirkung | ||||||
25 | derselben jedermann als Pflicht zumuthen kann. Sie hat die große Erforderni | ||||||
26 | der wahren Kirche, nämlich die Qualification zur Allgemeinheit, | ||||||
27 | in sich, sofern man darunter die Gültigkeit für jedermann ( universitas vel | ||||||
28 | omnitudo distributiva ), d. i. allgemeine Einhelligkeit, versteht. Um sie in | ||||||
29 | diesem Sinne als Weltreligion auszubreiten und zu erhalten, bedarf sie | ||||||
30 | freilich zwar einer Dienerschaft ( ministerium ) der bloß unsichtbaren Kirche, | ||||||
31 | aber keiner Beamten ( officiales ), d. i. Lehrer, aber nicht Vorsteher, weil | ||||||
32 | durch Vernunftreligion jedes Einzelnen noch keine Kirche als allgemeine | ||||||
33 | Vereinigung ( omnitudo collectiva ) existirt, oder auch durch jene Idee | ||||||
34 | eigentlich beabsichtigt wird. - Da sich aber eine solche Einhelligkeit nicht | ||||||
[ Seite 156 ] [ Seite 158 ] [ Inhaltsverzeichnis ] |