Kant: AA VI, Die Religion innerhalb der ... , Seite 126 |
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01 | von der Art, daß auch eine politische Verfassung darauf halten und | ||||||
02 | sie als Zwangsgesetze auferlegen kann, weil sie bloß äußere Handlungen | ||||||
03 | betreffen, und obzwar die zehn Gebote auch, ohne daß sie öffentlich gegeben | ||||||
04 | sein möchten, schon als ethische vor der Vernunft gelten, so sind sie | ||||||
05 | in jener Gesetzgebung gar nicht mit der Forderung an die moralische | ||||||
06 | Gesinnung in Befolgung derselben (worin nachher das Christenthum | ||||||
07 | das Hauptwerk setzte) gegeben, sondern schlechterdings nur auf die äußere | ||||||
08 | Beobachtung gerichtet worden; welches auch daraus erhellt, daß: zweitens | ||||||
09 | alle Folgen aus der Erfüllung oder Übertretung dieser Gebote, alle Belohnung | ||||||
10 | oder Bestrafung nur auf solche eingeschränkt werden, welche in | ||||||
11 | dieser Welt jedermann zugetheilt werden können, und selbst diese auch nicht | ||||||
12 | einmal nach ethischen Begriffen; indem beide auch die Nachkommenschaft, | ||||||
13 | die an jenen Thaten oder Unthaten keinen praktischen Antheil genommen, | ||||||
14 | treffen sollten, welches in einer politischen Verfassung allerdings wohl ein | ||||||
15 | Klugheitsmittel sein kann, sich Folgsamkeit zu verschaffen, in einer ethischen | ||||||
16 | aber aller Billigkeit zuwider sein würde. Da nun ohne Glauben an ein | ||||||
17 | künftiges Leben gar keine Religion gedacht werden kann, so enthält das | ||||||
18 | Judenthum als ein solches, in seiner Reinigkeit genommen, gar keinen Religionsglauben. | ||||||
19 | Dieses wird durch folgende Bemerkung noch mehr bestärkt. | ||||||
20 | Es ist nämlich kaum zu zweifeln: daß die Juden eben sowohl wie | ||||||
21 | andre, selbst die rohesten Völker nicht auch einen Glauben an ein künftiges | ||||||
22 | Leben, mithin ihren Himmel und ihre Hölle sollten gehabt haben; denn | ||||||
23 | dieser Glaube dringt sich kraft der allgemeinen moralischen Anlage in der | ||||||
24 | menschlichen Natur jedermann von selbst auf. Es ist also gewiß absichtlich | ||||||
25 | geschehen, daß der Gesetzgeber dieses Volks, ob er gleich als Gott selbst | ||||||
26 | vorgestellt wird, doch nicht die mindeste Rücksicht auf das künftige Leben | ||||||
27 | habe nehmen wollen, welches anzeigt: daß er nur ein politisches, nicht | ||||||
28 | ein ethisches gemeines Wesen habe gründen wollen; in dem erstern aber | ||||||
29 | von Belohnungen und Strafen zu reden, die hier im Leben nicht sichtbar | ||||||
30 | werden können, wäre unter jener Voraussetzung ein ganz inconsequentes | ||||||
31 | und unschickliches Verfahren gewesen. Ob nun gleich auch nicht zu zweifeln | ||||||
32 | ist, daß die Juden sich nicht in der Folge, ein jeder für sich selbst, einen | ||||||
33 | gewissen Religionsglauben werden gemacht haben, der den Artikeln ihres | ||||||
34 | statutarischen beigemengt war, so hat jener doch nie ein zur Gesetzgebung | ||||||
35 | des Judenthums gehöriges Stück ausgemacht. Drittens ist es so weit | ||||||
36 | gefehlt, daß das Judenthum eine zum Zustande der allgemeinen Kirche | ||||||
37 | gehörige Epoche, oder diese allgemeine Kirche wohl gar selbst zu seiner Zeit | ||||||
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