Kant: Briefwechsel, Brief 870, Von Friedrich August Hahnrieder.

     
           
 

 

 

 

 

 
  Von Friedrich August Hahnrieder.      
           
  31. Iuli 1800.      
           
  Achtungswürdiger Mann!      
           
  Daß ich so lange geschwiegen hat nichts weiter zum Grunde, als      
  daß ich nicht eher schreiben wollte bis ich etwas Bestimmtes über mein      
  Schiksal sagen könnte, dieses ist izt der Fall, und nun würde ich es      
  für unverzeihlich halten, länger zu schweigen.      
           
  Daß man mir ein ländliches Etablissement in West=Preußen geben      
  wollte, ist Ihnen bekannt, allein das General=Directorium war mit den      
  Vorschlägen, die ich machte, nicht zufrieden, und ich war nicht Willens,      
  andere zu thun, die Sache zerschlug sich also und ich wartete nun was      
  endlich aus mir werden dürfte; endlich bin ich zum Besiz eines kleinen      
  köllmischen Gütchens von 5/4 Huben kullmisch gelangt und befinde mich      
  nun an dem Ziel meiner Wünsche. Ob ich nun ausdauren werde,      
  kann nicht mehr die Frage seyn, denn es ist das lezte, was ich wollte,      
  und ich habe auch geheirathet, also ist mein Schiksal gänzlich entschieden.      
  Izt stehe ich, meiner Meinung nach, auf der höchsten Stufe,      
  auf welcher ein Sterblicher stehen kann, denn es läßt sich in der That      
  nichts größeres denken, als unabhängig von den Launen Anderer, das      
  Land zu bauen; ich fühle dieses Glük ganz und würde meine Lage mit      
  keiner andern vertauschen.      
           
  Mein Leben gleicht einem Roman, wo ich mir zum Theil viele      
  Szenen selbst schuf, zum Theil auch in welche wider mein Wißen und      
  Willen versezt wurde; indeßen kann ich aus allen Nuzzen ziehen und      
  wo ich gefehlt habe izt verbeßern; in meinem gegenwärtigen Wirkungskreise      
  kommt mir sehr vieles zu Statten, woran ich vorher nicht gedacht.      
  Bei meinem Aufenthalt in Rußland lernte ich so manches Nüzliche      
  für Oekonomie und Menschenkunde, hauptsächlich lernte ich daselbst      
  in den Gefängnißen der Inquisition Ihre Schriften kennen,      
  welches für mich das größeste Glük ist, denn ohne diesen Leitfaden      
  wäre ich ein bloßer fragmentarischer Mensch geblieben, und nie das      
  geworden was ich schon geworden bin und insonderheit noch werden      
  kann; an gutem Willen fehlt es mir nicht und durch mancherlei Misgriffe      
  bin ich eines beßeren belehrt, so daß ich izt weniger fehlen werde,      
  als ich gefehlt habe; ob ich gleich gar wohl weiß, daß Vollkommenheit      
           
  eine Idee ist zu welcher nur Annäherung aber nie gänzliche Erreichung      
  sich denken läßt, so bin ich gleichwol überzeugt, daß der, welcher sich      
  dieselbe zum Ziel gesteckt immer weniger der Gefahr ausgesezt ist, zu      
  straucheln. Mein Aufenthalt und Beschäftigung in Berlin ist für mich      
  auch von großem Nuzzen sowol in praktischer als technischer Rüksicht      
  und nie werde ich es bedauern diese Laufbahn gemacht zu haben.      
           
  Gerne würde ich noch mehr schreiben, allein was soll ich weiter      
  sagen? und wenn ich gleich noch mancherlei zu sagen hätte, so ist es      
  leicht möglich, daß der Brief für Dieselben zu lang würde, ich breche      
  daher ab und bitte Sie - im Fall es Gesundheit und anderweitige      
  Verhältnisse erlauben - mir auch nur durch ein Paar Zeilen, von      
  Dero Gesundheits=Umständen Nachricht zu geben. Leben Sie, edler      
  Mann! recht wohl und seyn versichert, daß ich nicht aufhören werde      
  zu seyn      
           
    Dero      
    ganz ergebner Freund      
  Langgrund im Amte Rhein und Diener      
  den 31 July Hahnrieder      
  1800.        
           
           
           
     

[ abgedruckt in : AA XII, Seite 319 ] [ Brief 869 ] [ Brief 871 ] [ Gesamtverzeichnis des Briefwechsels ]