Kant: AA XII, Briefwechsel 1800 , Seite 319 |
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870. | |||||||
02 | Von Friedrich August Hahnrieder. | ||||||
03 | 31. Iuli 1800. | ||||||
04 | Achtungswürdiger Mann! | ||||||
05 | Daß ich so lange geschwiegen hat nichts weiter zum Grunde, als | ||||||
06 | daß ich nicht eher schreiben wollte bis ich etwas Bestimmtes über mein | ||||||
07 | Schiksal sagen könnte, dieses ist izt der Fall, und nun würde ich es | ||||||
08 | für unverzeihlich halten, länger zu schweigen. | ||||||
09 | Daß man mir ein ländliches Etablissement in West=Preußen geben | ||||||
10 | wollte, ist Ihnen bekannt, allein das General=Directorium war mit den | ||||||
11 | Vorschlägen, die ich machte, nicht zufrieden, und ich war nicht Willens, | ||||||
12 | andere zu thun, die Sache zerschlug sich also und ich wartete nun was | ||||||
13 | endlich aus mir werden dürfte; endlich bin ich zum Besiz eines kleinen | ||||||
14 | köllmischen Gütchens von 5/4 Huben kullmisch gelangt und befinde mich | ||||||
15 | nun an dem Ziel meiner Wünsche. Ob ich nun ausdauren werde, | ||||||
16 | kann nicht mehr die Frage seyn, denn es ist das lezte, was ich wollte, | ||||||
17 | und ich habe auch geheirathet, also ist mein Schiksal gänzlich entschieden. | ||||||
18 | Izt stehe ich, meiner Meinung nach, auf der höchsten Stufe, | ||||||
19 | auf welcher ein Sterblicher stehen kann, denn es läßt sich in der That | ||||||
20 | nichts größeres denken, als unabhängig von den Launen Anderer, das | ||||||
21 | Land zu bauen; ich fühle dieses Glük ganz und würde meine Lage mit | ||||||
22 | keiner andern vertauschen. | ||||||
23 | Mein Leben gleicht einem Roman, wo ich mir zum Theil viele | ||||||
24 | Szenen selbst schuf, zum Theil auch in welche wider mein Wißen und | ||||||
25 | Willen versezt wurde; indeßen kann ich aus allen Nuzzen ziehen und | ||||||
26 | wo ich gefehlt habe izt verbeßern; in meinem gegenwärtigen Wirkungskreise | ||||||
27 | kommt mir sehr vieles zu Statten, woran ich vorher nicht gedacht. | ||||||
28 | Bei meinem Aufenthalt in Rußland lernte ich so manches Nüzliche | ||||||
29 | für Oekonomie und Menschenkunde, hauptsächlich lernte ich daselbst | ||||||
30 | in den Gefängnißen der Inquisition Ihre Schriften kennen, | ||||||
31 | welches für mich das größeste Glük ist, denn ohne diesen Leitfaden | ||||||
32 | wäre ich ein bloßer fragmentarischer Mensch geblieben, und nie das | ||||||
33 | geworden was ich schon geworden bin und insonderheit noch werden | ||||||
34 | kann; an gutem Willen fehlt es mir nicht und durch mancherlei Misgriffe | ||||||
35 | bin ich eines beßeren belehrt, so daß ich izt weniger fehlen werde, | ||||||
36 | als ich gefehlt habe; ob ich gleich gar wohl weiß, daß Vollkommenheit | ||||||
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