Kant: Briefwechsel, Brief 614, Von Fräulein Maria von Herbert.

     
           
 

 

 

 

 

 
  Von Fräulein Maria von Herbert.      
           
  Klagenfurt, im Anfang des Iahres 1793.      
           
  Hochgeehrter und innigstgeliebter Mann!      
  Haben Sie mir's nicht vor ungut, und gönnen Sie mir das      
  Vergnügen, mit Ihrem gewöhnlichen Wohlwollen, Ihnen wieder einmal      
  schreiben zu können, denn ich empfinde dabei den höchsten Genu      
  der tiefsten Achtung und Liebe gegen Ihre die Menschheit erhöhende      
  Person, und daß diese für uns beglückende Gefühle sind, darf ich      
  Ihnen nicht erst beweisen, indem Sie so glücklich waren, uns das      
  reinste und heiligste Gefühl aufzufinden, und es auch allzeit vor Religionsverunstaltungen      
  zu retten. Ich kann nicht umhin, Ihnen insbesondere      
  für "die Religion innerhalb der Gränzen der Vernunft" im      
  Namen aller jenen auf's wärmste zu danken, die sich von denen so      
  vielfach verstrickten Fesseln der Finsterniß losgerissen haben. Entziehen      
  Sie uns nicht Ihrer weisen Leitung, solang Sie finden, daß es uns      
  noch an etwas mangeln kann, denn nicht unser Begehren nach Befriedigung,      
  sondern nur Ihre Uebersicht kann urtheilen, was uns noch      
  ferner nöthig ist. Ich fühlte mich bei der Kritik der reinen Vernunft      
  schon ganz berichtiget, und doch fand ich bei Ihren folgenden Schriften,      
           
  daß keine überflüssig waren; gern wollt' ich dem Lauf der Natur Stillstand      
  gebieten, um nur versichert zu sein, daß Sie vollenden können,      
  was Sie für uns angefangen, und gern wollt' ich meine künftigen      
  Lebenstage an die Ihrigen hängen, um Sie beim Ausgang der französischen      
  Revolution noch in dieser Welt zu wissen.      
           
  Ich hatte das Vergnügen, Erhard selbst zu sehen, welcher mir      
  sagte, daß Sie sich nach mir erkundigten, aus dem schloß ich, daß Sie      
  meinen Brief, bei Anfang des Iahrs 1793 erhalten haben, denn ich      
  habe keine Antwort bekommen, weil Sie's vermuthlich besser verstanden,      
  als ich, daß mir durch Ihre Werke der Weg schon gebahnt ist, selbst      
  drauf zu stoßen. Da ich voraussetze, daß Sie der Gang jedes Menschen      
  interessirt, der Ihrer Leitung so viel zu danken hat, als ich, so will      
  ich versuchen, Ihnen die ferneren Fortschritte meiner Stimmung und      
  Gesinnung mitzutheilen. Lange hatte ich mich gequält, und vieles      
  nicht vereint, denn ich mischte Gottes Anordnung in das Zufällige des      
  Schicksals, und begnügte mich nicht lediglich mit dem Gefühl von Dasein;      
  da sehen Sie nun gleich, wie es mir ging weil ich zu viel erwischte,      
  ich betrachtete die widrigen Zufälle des Lebens von ihm an      
  mich gesandt, und sträubte mich dagegen als gegen eine Ungerechtigkeit,      
  weil mich mein Bewußtsein der Schuld frei sprach, oder ich dachte es      
  nicht von ihm geordnet, und das Gefühl für ihn war zugleich auf      
  diesem Weg verloren. Endlich die Antinomien, welche die Hauptursache      
  meiner dauerhaften Genesung sind, hätten mich eben so leicht zu einer      
  unwideruflichen Handlung verleiten können, so lange zog ich damit      
  herum, denn darüber abzuschließen war ich nicht im Stande, bis dann      
  ganz auf einer andern Seite in mir ein moralisches Gefühl erwachte,      
  was fest neben den Antinomien stehen blieb, und ich fühlte von der      
  Zeit an, daß ich überwunden und meine Seele gesund sei. Es hat      
  mir indessen an langwierigen Widerwärtigkeiten des Lebens nicht gemangelt,      
  die meine dermalige Stimmung genugsam prüften, daß sie      
  endlich nach schwerer Arbeit einer unerschütterlichen Ruh' genießt.      
  Auch verstand ich in der Folge mir den Wunsch des Todes zu erklären,      
  was mir dazumal eine widernatürliche Verfolgung meiner selbst schien,      
  und mich es grad nach meiner Zernichtung lüstete, auch das Vergnügen      
  der Freundschaft, für welche mein Herz doch allzeit deutlich geschlagen,      
  schützte mich nicht davor; ich betrachtete auch das als einen unverdienten      
  Zustand, mit welchem ich kein anderes Wesen behaftet wissen      
           
  wollte, denn in Betracht, daß ich endlich wäre, war mir nie kein Vergnügen,      
  welches es auch geben mag, dafür Ersatz, ohne Zweck zu leben;      
  nun aber ist mein Wunsch geblieben, und meine Anschauung hat sich      
  geändert; ich denke, daß jedem reinen Menschen der Tod, in einer      
  egoistischen Beziehung auf sich selbst, das Angenehmste ist, nur in      
  Rücksicht der Moralität und Freunde kann er, mit der größten Lust      
  zu sterben, das Leben wünschen, und es in allen Fällen zu erhalten      
  suchen. Ich wollte Ihnen noch gern vieles sagen, wenn ich mir nicht      
  ein Gewissen daraus machete, Ihre Zeit zu rauben; mein Plan ist      
  noch immer, Sie einst in Begleitung meines Freundes (von dem ich      
  jetzt leider vielleicht mehr als ein Iahr abwesend sein werde, und schon      
  lange bin) zu besuchen , indessen kann ich Ihr Andenken nie anders      
  als mit dem wärmsten Gefühl des Danks, der Liebe und Achtung      
  weihen, der Himmel beschütze Sie vor allem Ungemach, auf daß Sie      
  lang leben auf Erden! Ihre mit ganzem und vollem Herzen      
           
  ergebene Maria Herbert.      
           
           
           
     

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