Kant: Briefwechsel, Brief 580, Von Iohann Gottfried Carl Christian Kiesewetter. |
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| Von Iohann Gottfried Carl Christian Kiesewetter. | |||||||
| 15. Iuni 1793. | |||||||
| Wohlgebohrner Herr, | |||||||
| Hochzuehrender Herr Professor, | |||||||
| Sie haben die Güte gehabt mir durch den HErrn Nicolovius ein | |||||||
| Exemplar Ihrer neuesten Schrift zu überschiken und ich statte Ihnen | |||||||
| meinen verbindlichsten Dank dafür ab. Es hat dis Ihr Geschenk um | |||||||
| so mehr Werth für mich, da es mir ein Beweis zu sein scheint, da | |||||||
| Sie mir Ihre Freundschaft nicht entzogen haben; ein Gedanke, der | |||||||
| mich bisher sehr betrübt hat, weil gewiß niemand eine größere und | |||||||
| reinere Achtung für Sie empfindet als ich. Ich hätte meine Pflicht | |||||||
| Ihnen meinen Dank abzustatten schon längst erfüllt, wenn nicht eine | |||||||
| starke Geschwulst meines rechten Arms, die mir seit beinahe drei | |||||||
| Wochen nicht zu schreiben erlaubt, es mir unmöglich gemacht hätte. | |||||||
| Ihre Schrift hat mich entzückt, theils wegen der neuen Aufschlüsse, die | |||||||
| ich aus ihr erhielt, theils wegen der so äußerst glücklichen Deutung | |||||||
| mehrerer biblischen Stellen. Sie kann richtig verstanden unendlichen | |||||||
| Vortheil bringen, wenigstens dem elenden Streit der Religionspartheien | |||||||
| und der Ketzermacherei ein Ende machen. Ich bin sehr begierig zu | |||||||
| hören was unsere Theologen und vorzüglich was unsere Ketzerrichter | |||||||
| dazu sagen werden, da sie den Druck derselben doch nicht haben hindern | |||||||
| können. | |||||||
| Herr Tilling aus Curland, der mir ein Compliment von Ihnen | |||||||
| gebracht hat, hat mir zu meiner großen Freude erzählt, daß Sie sich | |||||||
| vollkommen wohl befinden. So können wir also hoffen, daß Ihre | |||||||
| Moral recht bald erscheinen wird und gewiß ist kein Buch von so vielen | |||||||
| so sehnlich erwartet worden als dis. Der größte Theil der denkenden | |||||||
| Menschen hat sich, wie dis auch leicht vorauszusehen war, von der | |||||||
| Richtigkeit des formalen Prinzips der Moral überzeugt, aber die Herleitung | |||||||
| eines Systems der Pflichten und die Deduction mehrerer Rechte | |||||||
| (z. B. des Rechts des Eigenthums) hat so viel Schwierigkeiten, die | |||||||
| alle bis jetzt erschienenen Systeme nicht völlig heben, daß jedermann | |||||||
| die Erscheinung eines Systems der Moral von Ihnen herzlich wünscht; | |||||||
| und dis gewiß um so mehr, da grade jetzt durch die französische Revolution | |||||||
| eine Menge dieser Fragen von neuem in Anregung gebracht | |||||||
| sind. Ich glaube überhaupt, daß sich über die ersten Grundsätze der | |||||||
| französischen Republik und über die Vernunftmäßigkeit derselben sehr | |||||||
| viel interessantes sagen ließe, wenn es rathsam wäre darüber zu | |||||||
| schreiben. Auch hier ist dieser Gegenstand der einzige Vorwurf aller | |||||||
| Unterhaltung, der einzige Grund aller Streitigkeiten, die aber am Ende | |||||||
| leider immer darauf hinauslaufen, daß man entweder die Sache selbst | |||||||
| mit ihren jetzigen Repräsentanten verwechselt, oder die Richtigkeit von | |||||||
| Ideen durch Erfahrung beweisen oder widerlegen will, oder unmögliche | |||||||
| Dinge fordert. | |||||||
| Meine Lage hat sich im Ganzen nicht viel geändert, ich habe | |||||||
| jetzt als Lehrer der königlichen Kinder jährlich 600 rthlr., wofür ich aber | |||||||
| wöchentlich 15 Stunden Unterricht geben muß. Als Professor habe | |||||||
| ich bis jetzt noch kein Gehalt, aber die Verpflichtung jährlich einmal | |||||||
| Logik publice zu lesen; doch hat mir der König versprochen, so bald | |||||||
| es angeht mir Gehalt zu geben. Sonst hatte ich noch als Charge | |||||||
| d'affaires bei der Prinzessin Auguste 400 rthlr. jährlich, aber die | |||||||
| Stelle ist eingezogen und mir auch blos Entschädigung versprochen. | |||||||
| So lange der Krieg dauert ist freilich wenig Hofnung dazu da, allein | |||||||
| ich weiß aus einer ziemlich sichern Quelle, daß der König jetzt geneigt | |||||||
| ist noch vor Ausgang des Iahres Frieden zu machen. | |||||||
| Die Herren Prof. Iakob und Fischer haben sich mit mir vereinigt | |||||||
| eine philosophische Bibliothek herauszugeben, die Auszüge aus den in | |||||||
| jeder Messe erschienenen besten philosophischen Schriften enthalten soll, | |||||||
| sie sollen nicht kritisch sein, sondern die Leser blos in den Stand setzen | |||||||
| den Gang der Ideen der Verfasser leichter zu übersehen und das was | |||||||
| jeder neues gesagt hat eher zu fassen; sie soll also nicht sowohl dazu | |||||||
| dienen auf die wichtigen philosophischen Schriften aufmerksam zu | |||||||
| machen, als vielmehr nach Lesung derselben nützen. - Die von mir | |||||||
| im Meßkatalogus angekündigte Schrift ist wegen meiner Krankheit | |||||||
| nicht fertig geworden, und jetzt zweifle ich sehr, daß sie erscheinen wird. | |||||||
| Ich bitte Sie herzlich um die Fortdauer Ihrer gütigen Gesinnungen | |||||||
| gegen mich, und werde gewiß nie aufhören mit der innigsten Werthschätzung | |||||||
| zu sein | |||||||
| Ihr | |||||||
| Berlin den 15 ten Iuni 1793. | dankbarer Schüler | ||||||
| I. G. C. Kiesewetter | |||||||
| [ abgedruckt in : AA XI, Seite 436 ] [ Brief 579 ] [ Brief 581 ] [ Gesamtverzeichnis des Briefwechsels ] |
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