Kant: Briefwechsel, Brief 565, Von Iohann Gottlieb Fichte.

     
           
 

 

 

 

 

 
  Von Iohann Gottlieb Fichte.      
           
  2. April 1793.      
           
  Wohlgebohrner Herr,      
  Höchstzuverehrender Herr Profeßor,      
  Schon längst hat mein Herz mich aufgefordert, an Euer Wohlgebohrn      
  zu schreiben; aber ich habe diese Aufforderungen nicht befriedigen      
  können. Euer Wohlgebohrn verzeihen auch jezt, wenn ich mich allenthalben      
  so kurz faße, als möglich.      
           
  Da ich mir - schmeichelt mir das - eine jugendliche Eitelkeit,      
  oder ist es in der Erhabenheit Ihres Charakters, sich auch zum Kleinen      
  herabzulaßen? - da ich mir einbilde, daß Euer Wohlgebohrn einigen      
  Antheil an mir nehmen, so lege ich Ihnen meine Pläne vor. - Iezt      
  habe ich vor's erste meine Offenbarungs=Theorie zu begründen.      
  Die Materialien sind da; und es wird nicht viel Zeit erfordern, sie zu      
  ordnen. - Dann glüht meine Seele von einem großen Gedanken: die      
  Aufgabe, S. 372-374. der Critik d. r. Vft. (dritte Auflage) zu lösen.      
  Zu allem diesen bedarf ich sorgenfreie Muße; und sie giebt mir die      
  Erfüllung einer unerlaßlichen aber süßen Pflicht. Ich genieße sie in      
  einem mir sehr zuträglichen Klima, bis jene Aufgaben gelößt sind.      
           
  Ich habe zu meiner Belehrung und zu meiner Leitung auf meinem      
  weitern Wege das Urtheil des Mannes, den ich unter allen am meisten      
  verehre, über meine Schrift gewünscht. Krönen Sie alle Ihre Wohlthaten      
  gegen mich damit, daß Sie mir daßelbe schreiben. Ich habe      
  jezt keine bestimmte Addreße. Kann nicht etwa Ihr Schreiben mit      
  einem der Königsberger Buchhändler nach Leipzig zur Meße abgehen      
  (in welchem Falle ich es abholen werde) so hat die Frau Hofpredigerinn      
  Schulz eine sichere, aber in etwas verspätende Addreße an mich.      
  Der Rec. der N. D. A. B. sezt mich in den craßesten Widerspruch mit      
  mir selbst; doch, das weiß ich zu lösen: aber er sezt mich in den      
  gleichen offenbaren Widerspruch mit dem Urheber der kritischen Philosophie.      
  Auch das wüste ich zu lösen, wenn es nicht nach seiner Relation,      
  sondern nach meinem Buche gehn soll.      
           
  Und jezt, wenn die Vorsehung nicht das Flehen so vieler erhören,      
  und Ihr Alter über die ungewöhnlichste Grenze des Menschen Alters      
  hinaus verlängern will, jezt, guter, theurer, berehrungswürdiger Mann,      
           
  nehme ich auf diese Welt für persönliches Anschauen Abschied; und      
  mein Herz schlägt wehmüthig, und mein Auge wird feucht. In jener      
  Welt, deren Hofnung Sie so manchem, der keine andre hatte, und auch      
  mir gegeben haben, erkenne ich gewiß Sie, nicht an den körperlichen      
  Zügen, sondern an Ihrem Geiste wieder. Wollen Sie mir aber auch      
  ln meiner künftigen weitern Entfernung erlauben, schriftlich - nicht      
  Ihnen zu sagen, was ewig unabänderlich ist, daß ich Sie unaussprechlich      
  verehre - sondern mir Ihren Rath, Ihre Leitung, Ihre      
  Beruhigung vielleicht zu erbitten, so werde ich eine solche Erlaubniß      
  bescheiden nützen.      
           
  Ihrer Gunst empfiehlt sich        
    Eurer Wohlgebohrn      
  Berlin innigster Verehrer      
  d. 2. Aprill Iohann Gottlieb Fichte.      
  1793.        
           
           
           
     

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