Kant: Briefwechsel, Brief 564, An Carl Spener.

     
           
 

 

 

 

 

 
  An Carl Spener.      
           
  22. März 1793.      
           
  Hochgeschätzter Mann!      
  Ihr den 9. März an mich abgelassener, den 17. angelangter, Brief      
  hat mich dadurch erfreut, daß er mich an Ihnen einen Mann hat kennen      
  lernen, dessen Herz für eine edlere Theilnahme, als blos der des Handlungsvortheils,      
  empfänglich ist. Allein in den Vorschlag einer neuen      
  abgesonderten Auflage des Stücks der B[erlinischen] Monatsschrift "über      
  die Abfassung einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht"      
  am wenigsten mit auf gegenwärtige Zeitumstände gerichteten Zusätzen,      
  kann ich nicht entriren. - Wenn die Starken in der Welt im Zustande      
  eines Rausches sind, er mag nun von einem Hauche der Götter, oder      
  einer Mufette herrühren, so ist einem Pygmäen, dem seine Haut lieb      
  ist, zu rathen, daß er sich ja nicht in ihren Streit mische, sollte es      
  auch durch die gelindesten und ehrfurchtvollsten Zureden geschehen; am      
  Meisten deswegen, weil er von diesen doch gar nicht gehört, von andern      
  aber, die die Zuträger sind, mißgedeutet werden würde. - Ich trete      
  von heute über 4 Wochen in mein 70stes Lebensjahr. Was kann      
  man in diesem Alter noch Sonderliches, auf Männer von Geist wirken      
  zu wollen, hoffen? und, auf den gemeinen Haufen? Das wäre verlorene,      
  ja wohl gar zum Schaden desselben verwandte Arbeit. In      
  diesem Reste eines halben Lebens ist es Alten wohl zu rathen das      
  " non defensoribus istis tempus eget " und sein Kräftemaaß in Betrachtung      
  zu ziehen, welches beinahe keinen andern Wunsch, als den der      
  Ruhe und des Friedens übrig läßt.      
           
  In Rücksicht hierauf werden Sie mir, wie ich hoffe, meine abschlägige      
  Antwort nicht für Unwillfährigkeit auslegen; wie ich denn      
  mit der vollkommensten Hochachtung jederzeit bin      
           
    Ihr      
    ganz ergebenster Diener      
  Königsberg, den 22. Mars 1793. I. Kant.      
           
           
           
           
     

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