Kant: Briefwechsel, Brief 557, Von Iohann Benjamin Erhard. |
|||||||
|
|
|
|
||||
| Von Iohann Benjamin Erhard. | |||||||
| Nbg. d. 17 Ian. 1793. | |||||||
| Mein Lehrer und mein Freund! | |||||||
| Ihr Brief war mir eine Quelle des Trostes. Er traf mich in | |||||||
| einer melancholischen Stimmung, die mich öfters anwandelt und gewöhnlich | |||||||
| bald besiegt ist, dießmal aber durch einen Hauffen kleiner | |||||||
| Umstände sehr mächtig wurde. Ihr Brief schlug einen großen Theil | |||||||
| dieser Gründe meines Mißmuths in die Flucht, dadurch daß er mir | |||||||
| zeigte ich hätte in Ihren Augen einigen Werth, und meine Hofnung | |||||||
| wieder belebte, daß ich auch bey andern denkenden und redlichen | |||||||
| Menschen noch etwas gelten könnte. Die Ebbe und Fluth meiner | |||||||
| Selbstachtung und meines Vertrauens auf andere Menschen, ist die | |||||||
| Seelenkrankheit der ich von Iugend auf unterworfen war. Ich wüßte | |||||||
| sie mir nicht besser als durch den Ausdruck moralisches Fieber zu | |||||||
| charakterisiren und das meinige gehörte dann unter die Wechselfieber. | |||||||
| Mein Trost ist auf diese Vergleichung gegründet, denn ich hoffe, so | |||||||
| wie das Fieber, wenn es gut curirt wird, keine nachtheilige Spur im | |||||||
| Korper zurückläßt, so wird auch diese Krankheit, keinen Nachtheil in | |||||||
| der Seele zurücklassen wenn es mir gelingen sollte sie zu curiren. | |||||||
| Dle Mittel die ich gebrauchen will sind folgende 1) Schmiegung unter | |||||||
| Convenienz, wenn es mir nicht mein Gewissen verbietet, 2) Arbeit | |||||||
| nach Vorsatz nicht bloß nach meinen Hang, ich will daher mir eine | |||||||
| medicinische Praxin zu erwerben suchen, und mich in das hiesige Collegium | |||||||
| aufnehmen lassen. 3) Mich manchmal zwingen seichten Gesprächen | |||||||
| zuzuhören. Sollten dieße Mittel gut seyn so brauche ich keine | |||||||
| weitere Antwort, wo nicht so bitte ich Sie mir bessere zu rathen. | |||||||
| Hier erlauben Sie mir eine Gewissensfrage an Sie deren Beantwortung | |||||||
| mich trösten könnte. Hat es Ihnen nicht sehr viel Mühe gekostet, | |||||||
| nichts als Prof[essor] in Königsberg zu werden? das heißt wie ich es verstehe, | |||||||
| Ihre Talente für die Welt allein, und nicht auch für sich selbst | |||||||
| zu gebrauchen? Mir kostet es viele Anstrengung in der Welt mein | |||||||
| Glück nicht zu machen, das heißt die Schwächen die ich an den | |||||||
| Menschen bemerke nicht zu benützen. Nun wieder zu Ihrem Brief. | |||||||
| Ich freue mich daß ich bald die Metaphysik der Sitten werde zu | |||||||
| sehen bekommen. Sie werden hoffe ich die Vollendung Ihrer Arbeiten | |||||||
| noch erleben, und dann mit Freuden sterben. Ich für meinen | |||||||
| Theil sehe gerade in meinen heitersten Stunden den Tod als ein | |||||||
| Glück an, das ich mir wünschen würde, wenn ich nur schon so | |||||||
| viel nach meinen Kräften gethan hätte, daß ich mit guten Gewißen | |||||||
| verlangen könnte schon wieder vom Schauplatz abtretten zu dürfen. | |||||||
| Dieses Gefühl des Verlangens nach den Tode, finde ich wesentlich | |||||||
| von der Stimmung zum Selbstmord, der ich öftrer ausgesetzt war, | |||||||
| unterschieden. Auffallend ist es mir daß unter den neuern Schriftstellern | |||||||
| dieses moralische Sehnen nach den Tode, fast ganz | |||||||
| unberührt geblieben ist. Der einzige Schwift in seinen vermischten | |||||||
| Gedanken hat unter den mir bekannten Schriftstellern folgenden Gedanken | |||||||
| "Niemand, der seyn innres Bewußtseyn aufrichtig fragt, wird | |||||||
| seine Rolle auf der Welt wiederholen mögen." Am ersten fand ich | |||||||
| diesen Gedanken bey Ihnen und er hatte sogleich volle Evidenz für | |||||||
| mich. Für Ihre Erinnerung über meine Gedanken bin ich Ihnen | |||||||
| herzlich verbunden. | |||||||
| Von Fräulein Herbert kan ich wenig sagen. Ich hatte in Wien | |||||||
| bey einigen ihrer Freunde meine Meynung über einige mir erzählte | |||||||
| Schritte von ihr, freymüthig gesagt, und es dadurch mit ihr so verdorben, | |||||||
| daß Sie mich nicht sprechen mochte; als einen Menschen der | |||||||
| nach bloßer Weltklugheit urtheilte, und kein Gefühl für das bloß individuel | |||||||
| moralisch richtige und wahre hätte. Ich weiß nicht ob es sich | |||||||
| mit ihr derzeit gebessert hat. Sie ist an der Klippe gescheitert, der | |||||||
| ich vielleicht mehr durch Glück als durch Verdienst entkam, an der | |||||||
| romantischen Liebe - Eine idealische Liebe zu realisiren hat sie sich | |||||||
| zuerst einen Menschen übergeben, der ihr Vertrauen mißbrauchte, und | |||||||
| wiederum einer solchen Liebe zu Gefallen hat sie dieß einem 2ten Liebhaber | |||||||
| gestanden - Dieß ist der Schlüßel zu ihren Brief. Wenn mein | |||||||
| Freund Herbert mehr Delicatesse hätte so glaube ich wäre sie noch zu | |||||||
| retten. Ihr jetziger Gemüthszustand, ist kurz dieser: Ihr moralisches | |||||||
| Gefühl ist mit der Weltklugheit völlig entzweyt, und dafür mit der | |||||||
| feinern Sinnlichkeit der Phantasie, im Bündniß. Für mich hat dieser | |||||||
| Gemüthszustand etwas rührendes und ich bedaure solche Menschen | |||||||
| mehr, als eigentlich Verrükte, und leider ist die Erscheinung häufig | |||||||
| daß Personen der Schwärmerey und den Aberglauben nur dadurch | |||||||
| entfliehen daß sie sich der Empfindeley den Eigendünkel und den | |||||||
| Traumglauben (fester Entschluß seine Chimären die man für Ideale | |||||||
| hält zu realisiren) in die Arme werfen, und glauben sie thun der | |||||||
| Wahrheit einen Dienst dadurch. | |||||||
| Mit meiner Frau kan ich mit Recht zufrieden seyn. | |||||||
| Nun leben Sie dießmal wohl. Ich werde nächstens Ihnen über | |||||||
| einige Gegenstände meiner jetzigen Untersuchungen consultiren, wo ich | |||||||
| in Ihren künftigen Schriften Belehrung zu erwarten habe, darüber | |||||||
| verlange ich keine Antwort. Ich kan mich so gut den Ihrigen nennen | |||||||
| als wenn Sie mein leiblicher Vater wären; denn Sie thaten mehr | |||||||
| an mir. | |||||||
| Ihr | |||||||
| Erhard. | |||||||
| N. S. Girtanner will immer wissen ob Sie seine Chemie gelesen | |||||||
| haben, und was Sie davon halten. | |||||||
| [ abgedruckt in : AA XI, Seite 406 ] [ Brief 556 ] [ Brief 558 ] [ Gesamtverzeichnis des Briefwechsels ] |
|||||||