Kant: Briefwechsel, Brief 497, Von Iohann Benjamin Erhard. |
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Von Iohann Benjamin Erhard. | |||||||
Iena d. 6. 9br 1791. | |||||||
Theurster Lehrer! | |||||||
Innig liebte und verehrte ich Sie da ich es noch nicht wagen | |||||||
durfte Sie mir unter einen andern Namen zu denken, aber viel hat | |||||||
diese Liebe und Achtung an frohen Genuße für mich und an Einfluß | |||||||
auf mein Leben gewonnen, seitdem mir das Glück zu Theil wurde, | |||||||
Sie auch meinen Freund nennen zu dürfen. | |||||||
Meine Reise von Königsberg hieher, wo ich bloß meine Freunde | |||||||
Schiller und Reinhold in dessen Hause ich nun wohne besuche und | |||||||
dann meine Reise meinen Plan gemäß weiter fortsetze, machte ich ohne | |||||||
allen widrigen Zufall und mit den seeligsten Rückerinnerungen. In | |||||||
Berlin fand ich bey Prof. Herz eine sehr gute Aufnahme und machte | |||||||
durch ihn viele angenehme Bekanntschaften. Er selbst hat zwar keine | |||||||
Zeit mehr sich eigentlich mit Philosophie zu beschäftigen, aber er hat | |||||||
dafür sehr gute Köpfe um sich gesammelt. Ein gewisser BenDavid | |||||||
verspricht mir darunter sehr viel für die Zukunft. Maimon lernte ich | |||||||
nicht persönlich kennen ich suchte ihn ein paarmal auf und fand ihn | |||||||
nicht, aber da ich nun sein philosophisches Wörterbuch sah, so bedaure | |||||||
ich es nicht im geringsten, denn dieses veräthe was ich am wenigsten | |||||||
leiden mag, schreklichen Hang zum Tiefsinn - ohne allen tiefen Sinn. | |||||||
Eine meiner werthesten Bekanntschaften machte ich am Kammergerichtsrath | |||||||
Klein. Dieß ist einer von den seltnen Männern deren | |||||||
Enthusiasmus ihrer Einsicht untergeordnet ist, ohne erkaltet zu seyn. | |||||||
Der vorzüglichste Gegenstand unserer Unterhaltung war das Criminalrecht. | |||||||
Ich will die Hauptpunkte in denen wir übereinkamen Ihnen | |||||||
zu Ihrer Prüfung, die Sie mir wohl nicht versagen? vorlegen. | |||||||
1) Die Uebertrettung der Gesetzen nicht der Schaden der Gesellschaft | |||||||
bestimmt die Größe des Verbrechens. | |||||||
2) Eigentlich Verbrechen ( Crimina ) können, da das moralische Gesetz | |||||||
nicht bedingt, unter Drohung eines gewißen Verlustes gebietet, | |||||||
auch nicht bedingt verbothen seyn, so nehmlich, daß durch | |||||||
die Erduldung der Straffe allein, ohne Busse der Verbrecher | |||||||
wieder eben so moralisch als vor den Verbrechen anzusehen sey. | |||||||
3) Da das Gesetz absolut gebietet, so kan auch die Strafe nicht als | |||||||
ein Mittel zu einen andern Zweck, sondern einzig zur Heiligung | |||||||
(nicht zur Erfüllung auf eine andere Art) des Gesetzes gebraucht | |||||||
werden | |||||||
4) Sie ist also etwas verwirktes das ohne alle andere Erwartung | |||||||
oder Absicht erduldet werden muß. | |||||||
5) Aber da nicht Genugthuung des Schadens, noch Besserung noch | |||||||
Beyspiel die Absicht der Straffe seyn kan, so kan man auch nicht | |||||||
sagen daß sie die Erduldung eines physischen Übel, als solches, | |||||||
wegen eines moralischen Vergehens sey, sondern sie ist das Symbol | |||||||
der Strafwürdigkeit einer Handlung, durch eine denen Rechten | |||||||
die der Verbrecher verwirkt hat, entsprechende Kränkung desselben. | |||||||
6) Die Bestraffung setzt die Einsicht der Verbindlichkeit moralisch | |||||||
zu handeln, die Mündigkeit des Verbrechers voraus, Unmündige | |||||||
können nur gezüchtigt werden. | |||||||
7) Die Bestraffung setzt die Fähigkeit der Reflexion während der | |||||||
Handlung voraus, im Falle diese bey dem Verbrecher nicht statt | |||||||
fand, kan er auch nicht gestraft werden, sondern er ist der Rechte | |||||||
der Mündigkeit verlustigt und wird gezüchtigt. | |||||||
8) Meinen Rechten ist ihrer Gültigkeit entweder durch die Gesellschaft | |||||||
allein gesichert, oder auch einestheils durch mich selbst, obgleich | |||||||
meine Macht nicht immer Hinlänglich ist. Im ersten Fall macht | |||||||
sich der Verbrecher dieser Gültigkeit verlustigt, und im andern | |||||||
Falle ersezt die Gesellschaft meine physische Macht, und behandelt | |||||||
den Verbrecher nach den Recht das er mir durch seine Beleidigung | |||||||
über ihn gab. Z. B. der Dieb, macht sich seines Eigenthums | |||||||
verlustigt. Der Mörder hätte dürfen von mir umgebracht | |||||||
werden, ehe er seine Absicht ausführte, die Gesellschaft übt also | |||||||
mein Recht über ihn aus. | |||||||
9) Das moralische Gesetz giebt mir nicht allein die Vorschrift wie | |||||||
ich andere behandeln soll, sondern auch wie ich mich von andern | |||||||
soll behandeln lassen, es verbietet mir so wohl, den Misbrauch | |||||||
anderer Menschen, als die Erduldung desselben, die Wegwerfung | |||||||
meiner Selbst. | |||||||
10) Es ist mir daher eben so wohl befohlen kein Unrecht zu leiden | |||||||
als keines zu thun, aber ersteres ist mir allein ohne Hülfe zwar | |||||||
im Vorsatz aber nicht in der Ausführung möglich, und dadurch | |||||||
ist mir und allen Menschen die Aufgabe gemacht, ein Mittel zu | |||||||
finden durch welches meine physischen Kräfte meinen moralischen | |||||||
Forderungen gleich würden. Hieraus entspringt der moralische | |||||||
Trieb und die Verbindlichkeit zur Geselligkeit. | |||||||
11) Durch die Gesellschaft wird nun das Erlaubte zum Recht. und | |||||||
die Übertrettung der Sittengesetze zum Verbrechen. Nur nach | |||||||
der Entwicklung der Rechte, läße sich die Verbrechen richtig ihrer | |||||||
Größe nach bestimen. | |||||||
12) Die Gesellschaft in so fern sie den Schutz der Rechte und die | |||||||
Bestraffung der Verbrechen zur Hauptabsicht hat heist bürgerliche | |||||||
Gesellschafft. Sie ist daher nicht bloß nüzlich sondern heilig. | |||||||
13) Verachtung und Zerstörung der bürgerlichen Gesellschaft Hochverrath | |||||||
ist daher das größte Verbrechen, und seine Strafe darf | |||||||
durch keine andere irgend eines Verbrechens übertroffen werden. | |||||||
Ich bleibe hier stehen weil ich einige Anmerkungen über diese | |||||||
13 Sätze beyfügen will. Die Ordnung in der ich sie stellte mag | |||||||
wohl nicht die beste seyn, aber ich folgte meinen Ideengang der immer | |||||||
halb analytisch und halb synthetisch ist. Dann machte es mir auch | |||||||
einige Mühe aufrichtig zu seyn, weil ich hier schon den Anfang eines | |||||||
Aufsatzes meines Freundes über die Principien des Naturrechts las, | |||||||
worinnen ich manche Begriff viel besser entwickelt und ausgedrückt fand, | |||||||
als sie bey mir waren da ich mit Klein sprach, und ich Ihnen doch | |||||||
unsere gemeinschaftlichen Grundsatze vorlegen wollte. Der 13 Satz | |||||||
gehört auch eigentlich nicht mehr hinzu aber ich fügte ihn bey, weil | |||||||
er mir eine Bestättigung meiner Lieblings=Hypothese scheint, daß die | |||||||
Menschen nie etwas hervorbrachten, glaubten liebten oder verabscheueten | |||||||
wo zu sich nicht eine Veranlassung in den edlern Theil ihrer Natur | |||||||
findet. Ihre Verirrungen kommen imer daher daß sie ihre eigenen | |||||||
Geschöpfe fur ihre Götter ansehen. Ich stelle mir die Sache so vor. | |||||||
Bey der Philosophie (worunter ich hier alles verstehe was sich auf das | |||||||
moralische Interesse der Menschen bezieht, auch die Theologie) ist es | |||||||
nicht wie mit andern Wissenschaften und Künste, deren Stoffe sich nur | |||||||
nach und nach darbieten deren Beobachtung oft Werkzeuge erfordert, | |||||||
sondern aller Stoff der Philosophie war von je her dem Menschen | |||||||
ganz gegeben, und von seiner Kraft und Willen hieng es ab, wie viel | |||||||
er zum klaren oder deutlichen Bewußtseyn davon brachte. Für den | |||||||
dessen reine Moralität ihn fähig machte in sich zu kehren, waren diese | |||||||
Kenntniße, das was sie sind, Entdekungen des edlern Theil des Menschen, | |||||||
und keine außer uns hypostasirte Ideale, aber für den der diese Entdeckungen | |||||||
nicht selbst machte, waren sie etwas daß der Erkenntniß die | |||||||
einen objectiven Stoff fordert, ganz analog war, und sie setzten einen | |||||||
erdichteten objectiven Stoff voraus, ja selbst die ersten Entdecker konnten, | |||||||
da sie oft schon in Rüksicht anderer Erkenntniße zu dieser Verfahrungsart | |||||||
gewöhnt waren, endlich selbst in Rücksicht auf ihre eigene Lehren | |||||||
in diesen Irrthum verfallen. War nun einmal [einmal] ein Hypostasirtis | |||||||
Ideal angenomen, so wurde es da ihm kein Object correspondirte | |||||||
und doch jeder eine neue Entdeckung daran machen wollte, zum Phantom, | |||||||
und in dieser Gestalt blieb es den Scharfsichtigen und Boshaften nicht | |||||||
mehr heilig genug um nicht zu betrügerischen Absichten gebraucht zu | |||||||
werden. Ein gleiches Schiksaal hatte auch der Begriff von Hochverrath | |||||||
und seine gerechteste Bestraffung die Achtserklärung. | |||||||
Gleiches Schiksaal werden alle philosophische Kenntnisse noch immer | |||||||
haben, biß sich die Menschen an dem behutsamen Geist des philosophirens | |||||||
allgemein gewöhnen, den Sie ihnen zeigen. Ich weiß nicht | |||||||
ob ich mich deutlich über meine lezte Meinung ausdrücken konnte, ich | |||||||
zweifle selbst daran, aber ich hoffe daß Ihre Erinnerung mir dazu | |||||||
verhelfen werden. | |||||||
Leben Sie noch lange wohl | |||||||
Ihr | |||||||
Sie innigst verehrender | |||||||
Io. Benj. Erh. | |||||||
N. S. Meine Addreße ist an HE. Franz Paul Baron von Herbert | |||||||
in Clagenfurth. | |||||||
[ abgedruckt in : AA XI, Seite 305 ] [ Brief 496 ] [ Brief 498 ] [ Gesamtverzeichnis des Briefwechsels ] |