Kant: Briefwechsel, Brief 389, Von Friedrich Heinrich Iacobi. |
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| Von Friedrich Heinrich Iacobi. | |||||||
| Pempelfort, den 16ten November 1789. | |||||||
| Verehrungswürdiger Kant! | |||||||
| Seit dem Tage, da die Freude einen Brief von Ihnen zu erhalten | |||||||
| mich so schön überraschte, und, wie unser Hamann bey einer | |||||||
| ähnlichen Gelegenheit sich ausdrückte, "mich eine kleine wollüstige Betäubung | |||||||
| empfinden ließ, die einem Schwindel ähnlich war" - bin ich | |||||||
| ein Tagewähler, wenigstens ein Tage Zähler geworden. Er sollte | |||||||
| kommen, kam nicht, und - wird nicht kommen, jener Tag an dem | |||||||
| ich fähig wäre, Ihnen die Freude auszudrücken, die ich fühlte, Ihnen | |||||||
| den Dank zu bringen, den ich so gern Ihnen bringen möchte. | |||||||
| Als meinen Lehrer; als einen Mann, den ich schon in meinem | |||||||
| Iünglingsalter mit lautem Herzklopfen bewunderte, und vor dem ich | |||||||
| nun, als einem mächtigen Eroberer und weisen Gesetzgeber im Reiche | |||||||
| der Wissenschaften, mich mit Ehrfurcht neigte, nannte ich Sie öffentlich | |||||||
| zu einer Zeit und unter Umständen, wo kein Schatten von Verdacht | |||||||
| der Schmeicheley oder des Eigennutzes bei diesen Aeußerungen - auf | |||||||
| mich fallen konnte. Sie selbst, Verehrungswürdigster Kant, erwähnen | |||||||
| Ihrer zuvor in der Berliner Monats=Schrift erschienenen Abhandlung | |||||||
| über das Orientiren; und Sie erwähnen derselben auf eine Weise, | |||||||
| welche nicht allein meinen Mund zu aller Klage verschließt, sondern | |||||||
| auch die leiseste, welche sich in meinem Herzen noch geregt haben | |||||||
| möchte, rein und auf immer daraus vertilgt. Keiner von Ihren Bewunderern | |||||||
| kann auf die Gesinnungen von Ehrfurcht und Liebe, womit | |||||||
| er Ihnen huldigt, ein Siegel, welches fester als das meine wäre, | |||||||
| drücken. | |||||||
| Das schöne Lob, welches Sie dem Grafen von Windisch= Grätz | |||||||
| ertheilen, habe ich demselben gleich kund gemacht, weil ich wußte, wie | |||||||
| sehr er sich darüber freuen würde. Meine Bekanntschaft mit diesem | |||||||
| trefflichen Manne ist noch sehr jung. Vorigen Winter schickte er mir | |||||||
| seine Objections aux sociétés secrettes und seinen Discours , und ma | |||||||
| mir einen großen Antheil an dem letztern bey, wegen des Aufsatzes: | |||||||
| Etwas was Lessing gesagt hat, welchen ihm zu Wien Graf Carl | |||||||
| von Sickingen, ein gemeinschaftlicher Freund, mitgetheilt hatte. Der | |||||||
| Discours ist ursprünglich nur für den Kaiser geschrieben und ihm auch | |||||||
| in der Handschrift zugestellt worden. Da der Fortgang der Brabanter | |||||||
| Unruhen bewies, daß er in den Händen des Kaisers unnütz war, so | |||||||
| schrieb der Verfasser seinem gekrönten Freunde, er fände nunmehr für | |||||||
| gut, diese Abhandlung gemein zu machen. Er ist gegenwärtig auf | |||||||
| seinen Gütern in Böhmen. Der gewöhnliche Ort seines Aufenthalts | |||||||
| war seit verschiedenen Iahren Brüssel, wo er, mit einer Prinzessinn | |||||||
| von Aremberg sich zum zweytenmahle vermählt hatte. Einige Tage, | |||||||
| nach der Ankunft Ihres Briefes besuchte er mich auf seiner Reise nach | |||||||
| Böhmen. Den ersten Besuch hatte ich im May von ihm erhalten, | |||||||
| und er blieb damahls bis ich nach Pyrmont verreiste. Windisch=Grätz | |||||||
| fühlt ganz den Werth des guten Zeugnisses, welches ein Mann wie | |||||||
| Kant ihm ertheilte, und er wußte nicht, wie er es mir nahe genug ans | |||||||
| Herz legen sollte, daß ich Sie doch ja recht nachdrücklich seiner größten | |||||||
| Hochachtung und vollkommensten Ergebenheit versichern möchte. Der | |||||||
| zweyte Theil seiner Histoire métaphysique de l'àme war damahls | |||||||
| schon abgedruckt. Ich habe seitdem Exemplare davon erhalten, und | |||||||
| werde das für Sie bestimmte nächstens nach Königsberg zu befördern | |||||||
| Gelegenheit haben, die Schriften dieses edeln Denkers können zur Verbesserung | |||||||
| der Gallischen Philosophie von großem Nutzen seyn; denn | |||||||
| da er immer von dieser Philosophie ausgeht; da sie wirklich die Unterlage | |||||||
| der seinigen ist, und er nur, bald in diesem bald in jenem ihrer | |||||||
| Theile das Unzulängliche und Unrichtige darzuthun bemüht ist: so | |||||||
| können die Anhänger dieser Philosophie nicht allein ihm folgen, sondern | |||||||
| auch ohne Unwillen, und ehe sie es selbst recht gewahr werden, noch | |||||||
| weiter gehen, als sie geführt wurden. Leider sind die Pariser Philosophen | |||||||
| ihrem deutschen Halbbruder schon ein wenig gram, weil es ihnen | |||||||
| deucht, er begünstige hie und da Vorurtheile, und halte den schnelleren | |||||||
| Fortgang der guten Sache auf. Sonderbar, daß die Menschen den | |||||||
| Fanatismus immer nur in einem bestimmten Gegenstande seiner Anwendung, | |||||||
| nie in ihm selbst erkennen wollen. | |||||||
| Unter den Bemerkungen, womit Sie, Verehrungswürdigster Kant, | |||||||
| die gütige Erwähnung der neuen Ausgabe meines Buches über die | |||||||
| Lehre des Spinoza begleiteten, hat folgendes meine Aufmerksamkeit besonders | |||||||
| an sich gezogen, und mich lange beschäftigt. Sie sagen: "Ob | |||||||
| "nun Vernunft, um zu diesem Begriffe des Theismus zu gelangen, | |||||||
| "nur durch etwas, was bloß Geschichte lehrt, oder nur durch eine uns | |||||||
| "unerforschliche übernatürliche innere Einwirkung, habe erweckt werden | |||||||
| "können, ist eine Frage, welche bloß eine Nebensache, nehmlich das | |||||||
| "Entstehen und Aufkommen dieser Idee betrifft . . . Genug daß man | |||||||
| "jetzt, da sie (diese Idee) einmahl da ist, jeden von ihrer Richtigkeit | |||||||
| "und Gültigkeit durch die bloße Vernunft überzeugen kann." | |||||||
| Was mich so sehr bey dieser Stelle beschäfftigte, war die Frage: | |||||||
| Wie sie sich auf meine Theorie beziehen, oder wie sie auf dieselbe sich | |||||||
| nicht beziehen könne. | |||||||
| Da ich meinen Theismus überall nur aus dem allgegenwärtigen | |||||||
| facto menschlicher Intelligenz, aus dem Daseyn von Vernunft und | |||||||
| Freyheit hergeleitet habe; so konnte ich die Möglichkeit einer Beziehung | |||||||
| auf meine Theorie nicht einsehen Von der ersten Ausgabe | |||||||
| meines Buches weis ich, daß sie dunkle Stellen enthielt; ich glaube | |||||||
| aber seitdem alle Zweydeutigkeit gehoben, und jetzt in der neuesten | |||||||
| Ausgabe meine Ueberzeugung klar genug dargelegt zu haben. Ich | |||||||
| behaupte nehmlich eine dem Menschen eben so evidente als unbegreiffliche | |||||||
| Verknüpfung des Sinnlichen mit einem Uebersinnlichen, des | |||||||
| Natürlichen mit einem Uebernatürlichen, welche, so bald sie als gewiß | |||||||
| vorhanden wahrgenommen und erkannt ist, dem anscheinenden Widerspruche | |||||||
| der Vernunft mit sich selbst eine befriedigende Auslösung verschafft. | |||||||
| Wie sich das Bedingte auf ein erstes Unbedingtes; wie sich | |||||||
| jede Empfindung auf eine reine Vernunft, auf Etwas das sein | |||||||
| Leben in sich selbst hat zuletzt bezieht: so bezieht aller Mechanismus | |||||||
| sich zuletzt auf ein nicht mechanisches Prinzip der Aeußerung und | |||||||
| Verkettung seiner Kräfte; alles Zusammengesetzte auf ein Nichtzusammengesetztes | |||||||
| der Unzertrennlichkeit; alles nach Gesetzen physischer Nothwendigkeit | |||||||
| erfolgendes auf etwas Nichterfolgtes, ursprünglich handelndes, | |||||||
| Freyes; Universalia auf Particularia; Individualität auf Person. Und | |||||||
| es entspringen diese Erkenntniße, nach meiner Meynung aus der | |||||||
| unmittelbaren Anschauung, welche das vernünftige Wesen von sich | |||||||
| selbst, von seinem Zusammenhange mit dem Urwesen, und einer Abhängigen | |||||||
| Welt hat. Bey der Frage, ob diese Erkenntniße wirkliche | |||||||
| oder nur eingebildete Erkenntniße sind; ob ihnen Wahrheit, oder Unwißenheit | |||||||
| und Täuschung entspreche, wird die Verschiedenheit zwischen | |||||||
| Ihrer Theorie und meiner Ueberzeugung auffallend. Nach Ihrer Lehre | |||||||
| nimt die Natur; überhaupt das Vorgestellte, die Form unseres | |||||||
| einmahl innerlich und unerforschlich so und nicht anders bestimmten | |||||||
| Vorstellungsvermögens (dieses Wort in seiner weitesten Bedeutung | |||||||
| genommen) an: wodurch denn nicht allein aller Widerstreit der Vernunft | |||||||
| mit sich selbst gehoben, sondern auch ein durchaus zusammenhangendes | |||||||
| System reiner Philosophie möglich wird. Ich im Gegentheile | |||||||
| bin geneigter, die Form der menschlichen Vernunft in der | |||||||
| allgemeinen Form der Dinge zu suchen; und glaube einiger Maaßen | |||||||
| zu sehen, auch zum Theil schon gezeigt zu haben, wie die verschiedenen | |||||||
| Instanzen, welche der entgegengesetzten Behauptung alles Hypothetische | |||||||
| benehmen sollen vielleicht zu heben wären. Unser Wißen möchte wohl | |||||||
| so ganz Stückwerk seyn, daß auch nicht einmahl das Wißen unseres | |||||||
| Nichtwißens davon ausgenommen werden könnte. Unterdeßen bin ich | |||||||
| wirklich daran, mein Credo noch einmahl auf das ernstlichste, und | |||||||
| zwar an der neuen Theorie des Vorstellungsvermögens des Herrn | |||||||
| Profeßor Reinhold zu prüfen. Sehr tief kann ich wohl nicht in | |||||||
| Irrthum stecken, da meine Resultate mit den Ihrigen fast durchaus | |||||||
| zusammen treffen. Und so wäre es sehr möglich daß mein Irrthum, | |||||||
| wenn ich auch mich selbst nur immer mehr darin verhärtete, dennoch | |||||||
| andern den Uebergang zur Wahrheit leichter machte. | |||||||
| Verzeihen Sie, lieber Verehrungswürdiger, die Weitlaufigkeit | |||||||
| meiner Herzenserleichterung. Ich wollte nicht gern daß Sie mich für | |||||||
| einen Supernaturalisten nach den Beschreibungen des Herrn Profeßor | |||||||
| Reinhold hielten. Ich schloß die Größe der Gefahr aus einer andern | |||||||
| Stelle Ihres Briefes, wo Sie, bey Gelegenheit einer möglichen Durchfarth | |||||||
| zwischen den Klippen des Atheismus sagen: "Ich finde nicht da | |||||||
| "Sie hiezu den Compaß der Vernunft unnöthig oder gar irreleitend | |||||||
| "zu seyn achten." Also könnte doch einiger Zweifel hierüber wohl | |||||||
| verzeihlich seyn. | |||||||
| Mich verlangt sehr nach dem vierten Theile von Herders Ideen, | |||||||
| und den Seitenhieben die ich wahrscheinlich darin bekommen werde. | |||||||
| Aber der Mann hat unrecht wenn er nicht mit mir zufrieden ist. Ich | |||||||
| hätte, wie Aaron, sein güldenes Kalb zu Pulver verbrennen u. es ihm | |||||||
| zu trinken geben können. Wirklich ist Herders Gespräch, als philosophische | |||||||
| Kritik betrachtet, unter aller Kritik, u. enthält beynah | |||||||
| kein wahres Wort. Uebrigens ist es voll Schonheiten - den Dialog | |||||||
| u. die Form des Ganzen ausgenommen. | |||||||
| Leben Sie wohl, Edler Mann, und laßen Sie mich durch Ihren | |||||||
| würdigen Freund Kraus von Zeit erfahren, daß Sie meiner im Guten | |||||||
| eingedenk bleiben. | |||||||
| Mit einem Herzen voll Ehrfurcht Dank und Liebe | |||||||
| Ihr Verbundenster | |||||||
| Friedrich Heinrich Iacobi | |||||||
| [ abgedruckt in : AA XI, Seite 101 ] [ Brief 388 ] [ Brief 389a ] [ Gesamtverzeichnis des Briefwechsels ] |
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