Kant: Briefwechsel, Brief 388, Von Daniel Ienisch. |
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Von Daniel Ienisch. | ||||||||
Berlin | ||||||||
den 2. Nov. 1789 | ||||||||
Wohlgeborner, | ||||||||
Hochzuehrender Herr Profeßor! | ||||||||
Der Verfaßer des gegenwärtigen Briefes an Ew. Wohlgebornen | ||||||||
heißt Ienisch. - Was konten sich aber Dieselben bei diesem Namen | ||||||||
seit etwa drittehalb Iahren anders denken, als einen zerstreuten, nachläßigen, | ||||||||
vielleicht gar - undankbaren Menschen? Die beyden ersten | ||||||||
Fehler machten von ie her einen nicht zu entschuldigenden Zug meines | ||||||||
Charakters: und vielleicht würden Sie, mein gütigster Herr Profeßor, | ||||||||
mich deswegen mit ihrem sanften Herzen Verzeihung finden lassen: | ||||||||
aber den Verdacht der Undankbarkeit, durch so wahrscheinliche Thatsachen | ||||||||
begründet - wie kan ich ihn, ohne zu erröthen, abzubitten | ||||||||
auch nur wagen? Ich entschuldige nichts: ich bitte nichts ab: ich erröthe | ||||||||
nur: und überlaße mich ganz Ihrer menschenfreundlichen Gemüthsart. | ||||||||
Dies nur erlauben Sie mir hinzuzusezzen, daß seit meiner | ||||||||
Entfernung aus Preußen nur selten ein Tag verging, wo entweder | ||||||||
nicht mein Herz, oder meine Verhältniße, oder ein Freund oder Lectüre | ||||||||
mich an den Mann erinnerte, dem ich die Grundlage meines Denkens | ||||||||
u. meines Glüks auf immer verdanke: der sich mit der gütigsten Theilnehmung | ||||||||
für meine schuz= u. rath=lose Iugend intereßirte; und noch | ||||||||
bis iezt, wie ich es aus dem Munde eines meiner Freunde, Herrn | ||||||||
la Garde mit Erröthen vernahm, nicht aufhört, für mich einige Aufmerksamkeit | ||||||||
zu haben. Wenn Deutschland seinen Profeßor der Critik | ||||||||
der reinen Vernunft rühmt: so kan ich hinzusezzen: "und der war mir | ||||||||
alles dies. " Wie war mir's dann möglich, - undankbar zu seyn? | ||||||||
Aber muß ich es nicht als eine offenbare Strafe meines Verbrechens | ||||||||
gegen Sie, ansehen, daß ich mich zu gleicher Zeit eines gewißen | ||||||||
äußerst=wahrscheinlichen, aber mir selbst und meiner Ehre nur | ||||||||
desto gefährlichern Rumor's wegen, zu rechtfertigen haben? | ||||||||
Doch, so unangenehm mir der Gedanke daran allerdings seyn | ||||||||
muß, wenn die Königsberger=Ideen darüber wahr wären, von woher | ||||||||
ich neulich leider eine der entsezlichsten Proben gehabt, wie ienes entsezliche | ||||||||
Gerede aus der Stube des academischen Senats bis zu der | ||||||||
niedrigsten Pöbel=claße, auf einem mir selbst unbegreiflichen Wege, | ||||||||
gedrungen: mit so viel Gleichgültigkeit kan ich Ew. Wohlgebornen | ||||||||
erklären, daß die ganze Sache grade so klein an sich war, als sie | ||||||||
in Königsberg gros schien: daß sie mich nichts mehr gekostet, als | ||||||||
die Einhändigung eines Briefes von Herrn de la Veaux, dem unvorsichtigen | ||||||||
Unterschieber des unseligen Taufscheins, als welcher denselben, | ||||||||
(da ich um die Zeit des Emfangs des Taufscheins eben auf einer | ||||||||
Reise nach Potsdamm begriffen war, und ihm die Übermachung | ||||||||
deßelben an die Behörde, die wegen meiner Ordination äußerst | ||||||||
dringend, überlaßen hatte, als dem Vertrautesten meiner Freunde, | ||||||||
den ich dazumalig hatte,) durch eine Unvorsichtigkeit seines Dieners verloren | ||||||||
oder vielmehr, um das Wahre zu sagen, in die alte Wäsche für | ||||||||
seine Wäscherin miteingepakt hatte, dann, aus Besorgnis, wegen der | ||||||||
Verzögerung meiner Ordination, nach dem Exemplar anderer Taufscheine, | ||||||||
mir eigenhändig einen ausgefertiget, meinem Vater einen | ||||||||
Character nach Belieben beygelegt, die Pathen diesem Character gemäs | ||||||||
nachgeschaffen, Iahr und Tag meiner Geburt aufs Gerathe wohl angegeben, | ||||||||
und so diesen unterschobenen Taufschein versiegelt an HErrn | ||||||||
Ober=Consistorial=Rath Teller übermacht hatte, in dem vesten Vertrauen, | ||||||||
wie er selbst es in seinem Schreiben an das Consistorium | ||||||||
etwas leichtsinnig erklärte, "daß es bey dem einen Taufschein so | ||||||||
"wohl, als bey dem andern doch imer glauben würde, worauf es bey | ||||||||
"dem Taufschein am meisten ankommt, daß Daniel Jenisch, den | ||||||||
"man zum Prediger ordiniren wollte, geboren wäre. | ||||||||
Das hiesige Ober=Consistorium, deßen einige Mitglieder den Herrn | ||||||||
de la Veaux selbst kanten, begnügte sich, denselben durch mich erinnern | ||||||||
zu laßen, daß ein Taufschein ein öffentliches Dokument sey - und | ||||||||
Prediger Ienisch ward nicht, wie es die Königsberger=sage ausgebreitet | ||||||||
hat, abgesezt; den Urheber welches Geredes ich, wie Paulus | ||||||||
den Sünder in der Corinthischen Gemeine, kraft dieses meines noch | ||||||||
tragenden Prediger=amtes dem Satan übergeben habe. | ||||||||
Das war also die Maus, die aus dem mit Entsezlichkeiten | ||||||||
schwangern Berge der Königsbergschen Verläumdung hervor sprang, | ||||||||
und über die ich mit meinen Freunden im Klub nicht selten zu lachen | ||||||||
Gelegenheit genommen. | ||||||||
Allerdings hatten die Königsberger Wahrscheinlichkeiten für sich! | ||||||||
Aber, wenn sie auch den sonderbaren Zufall selbst mit seinem Detail | ||||||||
nicht voraussezzen konten: warum schloßen sie alle, die Weisen und die | ||||||||
Thoren der großen Stadt, so übereilt, warum muste ich sogleich die | ||||||||
Fabel der ganzen Stadt werden? Warum dachte man nicht, daß der | ||||||||
unglükliche Gegenstand dieser Fabel doch niemals sich als einen | ||||||||
niedrigen oder in wichtigen Sachen leichtsinnigen Menschen zeigte? | ||||||||
Warum . . . | ||||||||
Doch ich muß aufhören, meinen Unwillen zu äußern. Gewiß, | ||||||||
mein Gütigster Herr Profeßor, es war eine Zeit, wo ich eben dieser | ||||||||
Sache wegen, die mir und iedem ehrlichen Mann so empfindlich war, | ||||||||
Königsberg und Königsberger haßte. Möchten die Weisen der Stadt | ||||||||
geurtheilt oder auch mich verdammt haben: dafür war Rath: aber | ||||||||
warum musten eben diese Weisen die Sache dem Pöbel in die Hände | ||||||||
spielen? Warum muste eine im Senat verhandelte Sache, über die | ||||||||
doch aus Mangel der Dokumente nichts entscheidendes ausgesprochen | ||||||||
werden konte, dem Pöbel in die Hände gespielt werden? Ich bitte | ||||||||
nicht um Verzeihung wegen meiner starken Ausdrükke: denn | ||||||||
ich schreibe nicht Unbesonnenheiten: ich schreibe mit dem entschloßensten | ||||||||
Bedacht: das Gefühl eines entehrten Charakters sezt mich über alle | ||||||||
Verhältniße weg. | ||||||||
Aber in welchen Ton bin ich gefallen? Wie wohl, er war gerecht: | ||||||||
würde in iedem andern Briefe ziemen, nur nicht in einem Briefe | ||||||||
Ew. Wohlgebornen. Ich faße mich und kehre zu dem zurük, | ||||||||
ich Ihnen, mein gütigster Herr Profeßor, eigentlich zu sagen | ||||||||
Meine Lage in Berlin, als Prediger bey der Marienkirche, ist in | ||||||||
Rüksicht vortheilhaft: vortheilhaft wegen meiner Aussichten, indem | ||||||||
bey einer Kirche stehe, wo man Hofnung haben kan, einmal | ||||||||
zu gelangen, wohin man als Geistlicher nur immer zu gelangen | ||||||||
mag: vortheilhaft wegen der Muße, die mir mein Amt läßt, | ||||||||
gewißen Lieblingsbeschäftigungen nachzuhängen; vortheilhaft durch | ||||||||
vortreflichen Zusammenhänge mit braven Männern ieder Gattung, | ||||||||
es mir gewährt. | ||||||||
Wären diese Lieblingsbeschäftigungen, unter welchen die Begründung | ||||||||
in dem System des Verfaßers der Critik und die über | ||||||||
fruchtbare Anwendung deßelben auf Religion und Sittenlehre, | ||||||||
eine meiner angenehmsten eben so sehr ist und immer seyn wird, als | ||||||||
je her war, (vielleicht wage ich's, etwas davon der Welt zu sagen). | ||||||||
Wären meine andern Liblingsbeschäftigungen in Philologie, Critik und | ||||||||
auch nicht von so unbedeutender Art, als sie es iezt sind: | ||||||||
würde ich es doch nicht wagen, dem Manne davon zu sprechen, | ||||||||
ieder Augenblick der Welt wichtig seyn muß. | ||||||||
Ew. Wohlgebornen mir meine Zerstreuung, meine Nachlaßigkeit, | ||||||||
meine Undankbarkeit, und endlich meine Hizze über die mir | ||||||||
den Königsbergern zugefügte entsezliche Kränkung verziehen: so | ||||||||
bin ehestens so frey, Denenselben über gewiße Sachen einige Fragen | ||||||||
u. wage es, mich zu nennen | ||||||||
Dero | immer=verpflichteter | |||||||
Ienisch, | ||||||||
Prediger der Marienkirche. | ||||||||
[ abgedruckt in : AA XI, Seite 098 ] [ Brief 387a ] [ Brief 389 ] [ Gesamtverzeichnis des Briefwechsels ] |