Kant: Briefwechsel, Brief 355, Von Iohann Heinrich Abicht. |
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| Von Iohann Heinrich Abicht. | |||||||
| 22. April 1789. | |||||||
| Wohlgebohrner Herr Professor | |||||||
| Verehrungswürdiger Greis! | |||||||
| Was mir meine diskrete Schüchternheit nicht einflößen konnte, das | |||||||
| kann Ihre gütige Gesinnung gegen mich, mir nämlich so viel Zutrauen | |||||||
| einflößen, als eben nöthig ist, mich einem so großen verdienstvollen | |||||||
| Manne mehr zu nähern, als es bisher geschehen ist. Lieben Sie, | |||||||
| darum bitt ich inständig, lieben Sie in mir Ihren Schüler, Ihren | |||||||
| Verehrer, der angefangen hat, sich mit dem Beyfalle seines Herzens | |||||||
| sagen zu können, daß er mit Ueberzeugung viele Ihrer Verdienste um | |||||||
| die Philosophie schäze, der - Sie erlauben mir diese Sprache | |||||||
| Ihnen so manche seelige Augenblike zu verdanken hat, welche auch ein | |||||||
| dunkler Ueberblik der Kette von Wahrheiten, und besonders der Anblik | |||||||
| der Reize wahrer liebenswürdiger Tugend oder Geistesschönheit gewährt. | |||||||
| Der öftere Genuß dieser Reize, die immer reglichen Nachgefühle | |||||||
| deßelben sind mir Bürge, daß ich dem Siege Ihrer Philosophie alle | |||||||
| meine Kräfte weihen werde; und wenn das Publicum mich einiges | |||||||
| Zutrauens werth halten wird, lebe ich der angenehmsten Hoffnung, | |||||||
| daß es mit Ueberzeugung des Herzens Sie, Verehrungswürdiger! als | |||||||
| seinen grösten Wohlthäter mit der Zeit verehre. Das angenehme | |||||||
| enthusiastische Gefühl macht auf eine Zeitlang nur so kühn, werden | |||||||
| Sie sagen; - ja ich würde mich vor mir selbst fürchten, wenn dieser | |||||||
| Enthusiasmus etwa nur auf Neuheit, auf geahndete Folgen von eignem | |||||||
| Wohlseyn oder eitelm Ruhme, oder auf blinden Glauben gegründet | |||||||
| wäre, dann würde ich ebenso mißtrauisch gegen meine geliebten Hoffnungen | |||||||
| seyn, wie ehemals gegen meine - aus Verzweiflung umfaßten | |||||||
| Ueberzeugungen. Vielleicht aber bestätigen Sie es selbst, daß ich einen | |||||||
| sicherern Grund des Zutrauens auf meine Beständigkeit in mir suchen | |||||||
| und voraussezen darf, als jene seyn mögen, wenn Sie bey einiger | |||||||
| Muße die hier beygelegten kleinen Geistesprodukte zu prüfen würdigen | |||||||
| wollen; vielleicht um so mehr, wenn Sie finden, daß ich, aber in der | |||||||
| That nur auf Anrathen Ihres eignen Systems, in der Critik der praktischen | |||||||
| Vernunft Sie auf eine kleine Weile verlaße, um nach meinen | |||||||
| Gründen ein Glied noch einzuketten, welches Sie verwerfen wollten, | |||||||
| das aber gewiß zu Ungunsten mancher Wahrheit - würde vermißt | |||||||
| worden seyn. Das System ist ohnstreitig für die wenigsten in den | |||||||
| Resultaten der sogenannten theoretischen Philosophie anzüglich, diese | |||||||
| allein würden ihm vielleicht, wenn ich den Geist der Speculation nicht | |||||||
| ganz verkenne ein unverdientes Prognosticon stellen laßen, wenn die | |||||||
| Resultate der praktischen Philosophie nicht aller Aufmerksamkeit auf | |||||||
| sich ziehen; und werden sie dieß eher, als wenn sie, auch noch nicht | |||||||
| nach allen ihren tiefgelegnen Gründen eingesehen, dennoch die Stimme | |||||||
| der Natur, die in einem jeden wiederhallt, für sich haben? Dieß ist | |||||||
| Ihr eigner Grundsaz, er ist so wahr, und zugleich dem schlichten | |||||||
| Menschenverstande so schmeichelhaft, daß die Philosophie, die ihm ganz | |||||||
| Gnüge thut, das allgemeinste beste Empfehlungsschreiben vor sich hat. | |||||||
| Edler Greis! ich zweifelte mit andern, ob Sie in der Critik der praktischen | |||||||
| Vernunft, da Sie die Triebfedern des Vergnügens von der | |||||||
| Ehre der Priorität lossagten, nebst allen den Folgen, die daraus entstanden, | |||||||
| jenem Grundsaze Gnüge gethan hätten? Und war es mir | |||||||
| erlaubt, etwas von dem Eindruke, den diese Critik nicht gemacht hat, | |||||||
| zu schließen, so mußte ich folgern, daß sie sich an der Naturstimme | |||||||
| nicht, wie es zu wünschen war, erprobt habe, da sie es in dieser Angelegenheit | |||||||
| doch wohl am leichtesten und ersten konnte darauf ankommen | |||||||
| laßen. Ich weiß nicht, mir schien es, als wenn seitdem der allgemeinere | |||||||
| Eifer nachgelaßen hätte, gleichsam als wenn die gespannte Erwartung | |||||||
| auf eine sichere Tugendlehre, - das gröste Bedürfniß unsrer Zeit | |||||||
| nicht genug sey erfüllt worden. Seitdem ich mich der Philosophie gewidmet | |||||||
| habe, war das Feld der praktischen Philosophie mein Augenmerk, | |||||||
| es schien mir zu wenig nach Verdienst bearbeitet und über den | |||||||
| theologischen Gezänke fast wie vergeßen zu seyn; - aber daß ich in | |||||||
| der Metaphysik, die, so lieb sie mir sonst der feinen Speculationen | |||||||
| wegen, die sie zulies, war, beseitigt wurde, nachdem ich ihre Resultate | |||||||
| zu erkennen glaubte, daß ich in dieser, oder vielmehr in der Critik, | |||||||
| die sie veranlaßt hat, für meine Lieblingswißenschaft die reinste Quelle | |||||||
| der Tugend und des Rechts finden würde, das wäre mir nie auch nicht | |||||||
| im Traume beygekommen. Durch Ihre unvergleichliche Critik, das | |||||||
| große Meisterstük des menschlichen Scharfsinns, wurde mir der Wert | |||||||
| der Speculation in dem metaphysischen Felde einleuchtender, und ich | |||||||
| muß es nur gestehen, es gieng mir bald darauf wie den Herrn | |||||||
| Alchymisten, ich versprach mir, wo nicht den Stein der Weisen, aber | |||||||
| gewiß den sichern Weg der Weißheit zu finden. Etwas Licht dazu | |||||||
| gab Ihre vortrefliche: Grundlegung zur Metaph. der Sitten; das | |||||||
| Resultat der Forschungen, die sie veranlaßt hat, ist die Critik des | |||||||
| Willensgeschäftes, wo ich jezt freylich vieles vermiße; indeßen sehen | |||||||
| Sie es gütig als den Beytrag zur Geschichte meiner Gedanken an. | |||||||
| Iezt erschien Ihre Critik der prakt. Vernunft - so viel Studium ich | |||||||
| darauf wenden konnte, habe ich treulich darauf verwand; und auf die | |||||||
| Sensationen und Urtheile, die sie im Publico hervorbringen würde, | |||||||
| lauschte ich mit dem leisesten Ohr; - vieles konnte ich nicht genug | |||||||
| reimen, und nähere Aufschlüße suchte ich vergebens. Was ich suchte, | |||||||
| und wie ich es mir alles aufgelößt, aus Ihrem eigenen Systeme, | |||||||
| [denn in diesem mußte nothwendig die gesuchte Auflösung liegen] aufgelößt | |||||||
| habe? Werden Sie aus der versuchten Metaphysik des Vergnügens | |||||||
| ersehen. Ich wünsche nichts mehr, als daß sie Ihren Beyfall | |||||||
| haben möge, wenigstens werde ich mich glüklich schäzen, wenn ich dadurch | |||||||
| in den Stand gesezt bin, nächstens die Fortsezung des Systems | |||||||
| in einer systematischen Moral und Ethik, die bis auf die lezte Feile | |||||||
| als Compendium zu Vorlesungen fertig ist, so wie auch in einem | |||||||
| systematischen Naturrecht, und zulezt in einer systematischen Thelematologie, | |||||||
| von denen nur die Abriße vor mir liegen, vorzulegen, und | |||||||
| dem Publico die Fruchtbarkeit und Wichtigkeit des Systems von dieser | |||||||
| Seite - möchte es doch nach meiner liebsten Hoffnung seyn! - nahe | |||||||
| ans Herz zu legen, und seinen Eifer für diese erhabene Philosophie | |||||||
| rege zu erhalten. Ich bekenne es, daß die Metaphysik einer weitläuftigern | |||||||
| und geschmakvollern Bearbeitung fähig gewesen wäre, allein es | |||||||
| war mir jezt nicht um meine Sache zu thun, ich wünschte etwas für | |||||||
| meine Lieblingswißenschaft zu unternehmen, mit der ich dem natürlichen | |||||||
| Zuge meines Herzens nur allein einige Gnüge thun kan; das Publicum | |||||||
| sollte nur einstweilen vorbereitet werden; indem es vielleicht so gefällig | |||||||
| ist, und mit der Darstellung sich etwas vertraut macht. Belehren Sie | |||||||
| mich, wo ich geirrt habe, es ist - wenn ich es sagen darf - auch | |||||||
| dieser Versuch Sache Ihres Systems, und Ihres Verdienstes, und | |||||||
| wenn sie ihn auch nicht dafür erkennen wollten, so mache ich mir doch | |||||||
| Rechnung auf Ihre Belehrung, denn so viel darf ich doch hoffen, da | |||||||
| er der Prüfung werth ist. | |||||||
| Mit sehr vielem Vergnügen erfuhr ich ohnlängst, daß Ihnen, | |||||||
| edler Würdiger! das Institut des angezeigten Magazins nicht mißfällig | |||||||
| gewesen sey; dieses wird mir um so viel mehr Aufmunterung geben, | |||||||
| mein möglichstes zu thun, um die dabey vorgesezte Absicht zu erreichen. | |||||||
| Es war mir schon der Beytritt des geliebten HErn Prof. Borns ein | |||||||
| angenehmer Beweiß, wie sehr man auf den Beyfall und die Mithülfe | |||||||
| der vortreflichen Männer bey solchen Unternehmungen rechnen kan. | |||||||
| Wenn Sie, unser Haupt und Vater, nur einmal noch so viel Zeit abmüßigen | |||||||
| könnten, und unser Magazin mit einem Beytrage beehren, | |||||||
| so würde das Institut mit der gültigsten Empfehlung vor dem Publico | |||||||
| erscheinen. | |||||||
| Wie leicht bin ich nicht, bey der ersten Empfehlung, in eine vielleicht | |||||||
| unverzeihliche Weitläuftigkeit gerathen! Wenigstens bin ich | |||||||
| schuldlos, wenn Sie auf meine Bitte so wie nach meiner Absicht nicht | |||||||
| mich, sondern die Sache, die mir so theuer ist, daß sie mit mir eins | |||||||
| zu werden scheint, in diesen Zeilen finden, und der Aufmerksamkeit | |||||||
| werth halten können, dann, sage ich, sprechen Sie mich vielleicht doch | |||||||
| von einem Fehler der Unhöflichkeit frey, den ich sonst mit Recht hätte zu | |||||||
| Schulden kommen laßen. - Die große Entfernung nöthigt mich weniger | |||||||
| als mein dringender Wunsch, Ihre unschäzbare Gewogenheit zu besizen, | |||||||
| mich Ihnen auf das angelegentlichste zu empfehlen, und mir Ihre | |||||||
| väterliche Liebe zu erbitten; ich werde sie zu verdienen suchen. Um | |||||||
| Ihr schriftliches Urteil werde ich wohl Ihrer Geschäfte halber nicht | |||||||
| nachsuchen dürfen, und doch möchte ich nicht gerne alle Hoffnung aufgeben, | |||||||
| weil sie mir allzu theuer ist, besonders wenn ihre Erfüllung | |||||||
| auch die Versicherung mit einschliesen sollte, daß dasjenige, was die | |||||||
| Metaphysik des Vergnügens zum Resultate gemacht hat, auch von | |||||||
| Ihnen mit der ganzen Idee Ihres Systems harmonisch gefunden | |||||||
| werde - dadurch würde meiner theuersten Wünsche einer erfüllt seyn. | |||||||
| Zulezt nehmen Sie die aufrichtigsten Versicherungen meiner schon | |||||||
| längst gefühlten reinsten Hochachtung mit dem Glauben auf, den sie | |||||||
| nach meinem Bewustsein verdienen; überzeugender vielleicht würde ich | |||||||
| sie Ihnen geben können, wenn ich das Glük hätte, näher um Ihnen, | |||||||
| würdigster Greis! zu seyn, alsdann würden Sie mit der grösten Zuversicht | |||||||
| in meinem Innern lesen können, daß ich ganz und ungeheuchelt | |||||||
| ewig seyn werde | |||||||
| Edler Greis, verehrungswürdiger Lehrer | |||||||
| Erlangen den 22 April | Ihr mit aller Hochachtung und Liebe | ||||||
| 1789. | Ihnen ganz ergebenster | ||||||
| M. Iohann Heinrich Abicht. | |||||||
| [ abgedruckt in : AA XI, Seite 025 ] [ Brief 354 ] [ Brief 356 ] [ Gesamtverzeichnis des Briefwechsels ] |
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