Kant: Briefwechsel, Brief 345, Von Ludwig Heinrich Iakob.

     
           
 

 

 

 

 

 
  Von Ludwig Heinrich Iakob.      
           
  Halle den 28 Febr. 789      
           
  Verehrungswürdiger Mann,      
  Ich danke Ihnen recht sehr für Ihr letztes Schreiben und die      
  darin ertheilte Belehrung. Ich freue mich, daß ich dieser Eintheilung      
  in meiner Logik so ziemlich nahe gekommen bin; ich werde sie aber      
           
  gewiß in der Folge noch mehr zum Grunde zulegen suchen. - Die      
  Tabelle der ästhetischen Vollkommenheit scheint mir indeß in eine allgemeine      
  reine Logik nicht zu gehören, wenn ich anders hier den blossen      
  reinen Begriff des Verstandes zum Grunde legen muß.      
           
  Daß sich Ew. Wohlgeb. nicht mit den Streitigkeiten befassen u.      
  Ihre Zeit zu wichtigern Zwecken anwenden, muß gewiß einem jeden,      
  der die Wichtigkeit der Vollendung Ihrer Arbeiten kennt gefallen. Es      
  ist auch nicht zu zweifeln, daß, wenn sich nur erst die Hitze legt, die      
  Partheien sich näher kommen werden. - Von HE. E[berhards] Magazin      
  habe ich heute das 3te. St. erhalten. Er redet darin fast ganz allein, u.      
  das ganze St. ist gegen die Cr. gerichtet. - Das Räsonnement darinn      
  ist meistentheils richtig u. die mehresten darin behaupteten Sätze sind      
  wahr u. lassen sich rechtfertigen. Es wird aber auf das sonderbarste      
  behauptet, daß die Critik das Gegentheil behaupte. Der Punkt, in      
  welchem wirklich ein realer Widerstreit ist, betrift nur 1) die Allgemeinheit      
  der sinnlichen Formen u. 2) die Allgemeinh. der Verstandesbegriffe,      
  welche beide hier streng behauptet werden. Iedoch sind, wie sich schon      
  a priori wissen lies, die Gründe sämtlich aus dem Subjekt genommen.      
  Es ist bewiesen, was niemand leugnet, daß wir recht thun, die noumena      
  durch die Kategorien zu denken, aber nicht, daß wir ein reales      
  Prädikat derselben erkennen können. Wenn es mir irgend möglich      
  ist, so werde ich HE. Abicht eine ernsthafte Prüfung dieser Eberh.      
  Einwürfe zuschicken. Ich halte HE. Abicht für einen sehr fähigen      
  Mann, und verspreche mir viel von ihm. Ich wünsche nur, daß die      
  Herausgeber und Mitarbeiter stets die gehörige Kaltblütigkeit behalten,      
  welche durch das beständige persönliche Necken der Gegenparthei gar      
  zu leicht verlohren gehen kann. - Ob ich mich gleich gehütet habe      
  irgend einen Mann zu nennen, oder selbst gegen die Ausserungen      
  dieses oder jenes Individui auf eine unhöfliche Art zu streiten; so      
  hat man doch selbst aus meinen allgemeinsten Ausdrücken die konkretesten      
  Folgerungen gezogen.      
           
  Ich habe seit einigen Iahren besonders vielen Fleis auf die Bearbeitung      
  der empirischen Psychologie gewendet. Ich finde hier immer      
  mehr u. mehr, daß die Gefühle ein eigenthümliches Vermögen verlangen,      
  welches von dem Anschauungsvermögen u. dem Verstande u. dem Begehrungsverm[ögen]      
  auch abgesondert werden muß; es scheint nie den      
  Grund des Begehrens u. des wirklichen Handelns zu enthalten. Ich      
           
  hoffe gewiß schon in Ihrer Critik des Geschmacks hierüber nähern      
  Aufschluß zuerhalten. - Da es doch unmöglich ist, den letzten Grund      
  dieser Vermögen zuerforschen, so scheint mir jede reale Verschiedenheit      
  der Wirkung ein hinreichender Grund zu seyn, solange ein eigenthümliches      
  Vermögen dafür anzunehmen, als die reale Einheit nicht eingesehen wird.      
           
  Der Erfüllung Ihres Versprechens etwas zur Vervollkommung      
  meines Lehrbuchs durch einige Bemerkungen beizutragen, sehe ich      
  mit großer Erwartung entgegen. Es war dies freilich viel von mir      
  verlangt. Aber ich rechnete darauf, daß es Ihnen keine Anstrengung      
  kosten könnte, u. die Aufopferung einiger Ihrer Erholungsstunden      
  hinreichend seyn würden, mich vollkommen zubefriedigen. Denn nur      
  einige Winke mit der Bleifeder würden mich oft schon unterrichten      
  können. In der That konnte ich diese Zudringlichkeit auch um so verzeihlicher      
  für mich finden, weil nicht allein mein eigner Vortheil, sondern      
  auch das Interesse des Publikums hierbei zu gewinnen schien.      
  Denn da Studierende darüber hören u. nun auch schon auf einigen      
  andern Universitäten über dies Lehrbuch gelesen wird, so kann es      
  Ihnen selbst nicht gleichgültig [seyn], was man für Ihr System ausgibt.      
  Zwar hab ich mich sorgfältig gehütet Ihren Namen als Auktorität      
  für mich anzuführen. Auch ist gewiß Ihre Philosophie nicht      
  von der Art, daß sie Ansehn bedürfte. Ich habe blos das Erkentnisvermögen,      
  das allen gemein ist, zum Objekt gemacht u. in demselben      
  geforscht, u. so mußte ich natürlich das darin finden, was drinnen      
  liegt, und mich selbst überzeugen, daß Sie es richtig aufgefunden      
  hätten, u. daß etwas anders aufzufinden ganz unmöglich sey. Ob nun      
  mein Nachgehen wirklich richtig sey, möchte ich freilich am allerliebsten      
  von Ihnen wissen - - doch ich will nicht importun seyn, und überlasse      
  dieses alles Ihrem Wohlgefallen und Ihrer Güte. Ihre wichtigern      
  und nützlichern Geschäfte müssen und sollen am allerwenigsten      
  durch mich, der ich mit so viel dabei gewinne, gestört werden.      
           
  Daß HE. Kiesewetter Ihre Erwartungen nicht täuscht freuet mich      
  ausserordentlich. - - Seine Wärme und sein Enthusiasmus für das      
  Gute hat mir ihn jederzeit noch werther gemacht, als seine Talente      
  für die Wissenschaften. Die tiefe Verehrung und grosse kindliche Liebe,      
  mit welcher er in seinen Briefen an mich von Ihnen redet, weidet      
  mein Herz, und doch möcht ich ihn beneiden, daß ich die meinige      
  Ihnen nicht so anschaulich kann zu erkennen geben, als er.      
           
  Ich wünsche Ihnen eine dauerhafte Gesundheit zur Vollendung      
  Ihrer wichtigen Werke, der ich mit der größten Hochachtung verbleibe      
           
    der Ihrige      
    L. H. Iakob.      
           
  Ich kann nicht unterlassen Ihnen noch eine wahre Anekdote mitzutheilen,      
  die Ihnen nicht unangenehm seyn kann. Herr Weishaupt      
  u. HE. Eberhard arbeiten nemlich auf ganz verschiedene Weise gegen      
  die Critik. - Als HE. Eberhards 2tes. St. heraus war, schrieb W.      
  an Eberh. "er wundere sich wie HE. E. so etwas behaupten könne,      
  als er in s. Magazine behauptet habe. Denn wenn dies wahr wäre,      
  so müsse ja Kant Recht haben. HE. E. dem es selten an Feinheit      
  gebricht, antwortete: Quid tum ? - Es kömmt ja nicht darauf an:      
  Wer die Wahrheit findet, sondern nur daß man sie finde. - HE. W.      
  wollte wohl unstreitig mehr sagen. Er wollte wohl sagen: Wenn das was      
  du zugibst, daß nemlich die r[ealen] Begriffe nur mittelbar anschaulich      
  sind (wie sich E. ausdrückt), so mußt du ja noch ein Anschauungsvermögen      
  für ubersinnliche Dinge aufweisen, wenn du übersinnliche Dinge      
  erkennen willst, und da dies nicht möglich ist, so hat die Cr. recht, da      
  sie nur auf sinnliche Gegenst. bezogen werden könne, u. deine Behauptung,      
  daß wir auch übersinnliche Dinge erkennen können, wird durch      
  dich selbst zerrüttet.      
           
           
           
     

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