Kant: AA XX, Preisschrift über die ... , Seite 305 |
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01 | Überschritt der Metaphysik zum Übersinnlichen, |
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02 | nach der Leibnitz-Wolfischen Epoche. |
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03 | Die erste Stufe des Überschrittes der Metaphysik zum Übersinnlichen, | ||||||
04 | das der Natur, als die oberste Bedingung zu allem Bedingten | ||||||
05 | derselben zum Grunde liegt, also in der Theorie zum Grunde gelegt | ||||||
06 | wird, ist die zur Theologie, d.i. zur Erkenntniß Gottes, obzwar nur nach | ||||||
07 | der Analogie des Begriffes von demselben, mit dem eines verständigen | ||||||
08 | Wesens, als eines von der Welt wesentlich unterschiedenen Urgrundes | ||||||
09 | aller Dinge, welche Theorie selber nicht in theoretisch- sondern blos | ||||||
10 | praktisch-dogmatischer, mithin subjectiv'mmoralischer Absicht aus der | ||||||
11 | Vernunft hervorgeht, d.i. nicht um die Sittlichkeit ihren Gesetzen, und | ||||||
12 | selbst ihrem Endzwecke nach zu begründen, denn diese wird hier vielmehr, | ||||||
13 | als für sich selbst bestehend, zum Grunde gelegt, sondern um dieser Idee | ||||||
14 | vom höchsten in einer Welt möglichen Gut, welches, objectiv und theoretisch | ||||||
15 | betrachtet, über unser Vermögen hinausliegt, in Beziehung auf | ||||||
16 | dasselbe, mithin in praktischer Absciht, Realität zu verschaffen, wozu | ||||||
17 | die bloße Möglichkeit, sich ein solches Wesen zu denken, hinreichend, und | ||||||
18 | zugleich ein Überschritt zu diesem Übersinnlichen, ein Erkenntniß desselben, | ||||||
19 | aber nur in praktisch-dogmatischer Rücksicht, möglich wird. | ||||||
20 | Dies ist nun ein Argument, das Daseyn Gottes, als eines moralischen | ||||||
21 | Wesens, für die Vernunft des Menschen, sofern sie moralisch-dogpraktisch | ||||||
22 | ist, d.i. zur Annehmung desselben, hinreichend zu beweisen, | ||||||
23 | und eine Theorie des Übersinnlichen, aber nur als praktisch-dogmatischen | ||||||
24 | Überschritt zu demselben, zu begründen, also eigentlich nicht ein Beweis | ||||||
25 | von seinem Daseyn schlechthin (simpliciter), sondern nur in gewisser | ||||||
26 | Rücksicht (secundum quid), nämlich auf den Endzweck, den der moralische | ||||||
27 | Mensch hat, und haben soll, bezogen, mithin blos der Vernunftmäßigkeit | ||||||
28 | ein solches anzunehmen, wo dann der Mensch befugt ist, einer Idee, | ||||||
29 | die er, moralischen Prinzipien gemäß, sich selbst macht, gleich als ob er sie | ||||||
30 | von einem gegebenen Gegenstande hergenommen, auf seine Entschließungen | ||||||
31 | Einfluß zu verstatten. | ||||||
32 | Freylich ist auf solche Art Theologie nicht Theosophie, d.i. Erkenntniß | ||||||
33 | der göttlichen Natur, welche unerreichbar ist, aber doch des | ||||||
34 | unerforschlichen Bestimmungsgrundes unsers Willens, den wir in uns | ||||||
35 | allein zu seinen Endzwecken nicht zureichend finden, und ihn daher | ||||||
36 | in einem Anderen, dem höchsten Wesen über uns, annehmen, um dem | ||||||
37 | letztern zur Befolgung dessen, was die praktische Vernunft ihm vorschreibt, | ||||||
38 | die der Theorie annoch mangelnde Ergänzung, durch die Idee | ||||||
39 | einer übersinnlichen Natur, zu verschaffen. | ||||||
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