Kant: AA XIX, Erläuterungen zu G. Achenwalls Iuris ... , Seite 635 |
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01 | einen blos historischen Glauben Religions=, d. i. Gewissensbekentnisse seiner | ||||||
02 | Ueberzeugung zu thun, die nie die dazu erfoderliche Gewisheit haben, ist | ||||||
03 | es nicht erlaubt, solche Sätze zu nothwendigen Glaubensvorschriften zu | ||||||
04 | machen, die sich blos auf Nachrichten gründen. Das Christentum erfodert | ||||||
05 | Lauterkeit, nichts erheucheltes, nichts gewagtes in Anheischigmachung | ||||||
06 | zu dem, worin man nicht Meister ist. Gleichwohl dürfen wir | ||||||
07 | nur auf Sätze, die blos diese Autorität haben, nicht eben anfechten. | ||||||
08 | Sie sind betreffen insgesammt Gnadensachen, die keinem aufgedrungen | ||||||
09 | werden, die dem der sich davon überzeugen kan werth, heilig und dem, | ||||||
10 | der sich davon nicht überzeugen kan, immer noch Achtungswürdig sind | ||||||
11 | und worüber andere irre zu machen nicht rathsam ist, aber ebenso wenig | ||||||
12 | sie aufzudringen. | ||||||
13 | Es muß eine sehr einfache Sache mit der Religion seyn, wenn man | ||||||
14 | annimmt, daß sie für jeden Menschen eine freye Religion seyn soll, denn | ||||||
15 | alsdann ist kan sie nicht anders als so natürlich und einleuchtend seyn, | ||||||
16 | daß sie ein jeder sich davon selbst überzeugen kan. Soll sie aber nicht | ||||||
17 | eine freye Religion seyn, sondern wenigstens für den Großen Haufen eine | ||||||
18 | eingefuhrte und mit durch obrigkeitliches Ansehen oder Priesteransehen | ||||||
19 | unterstützte Religion seyn, so kan und muß sie so auf unzuganglichen beglaubigenden | ||||||
20 | Beweisgründen und Urkunden beruhen, daß der große Haufe | ||||||
21 | genöthigt wird, sich ihr zu unterwerfen, ohne darüber zu vernünfteln, weil | ||||||
22 | er keine Wahl hat. Nun scheint, (g nicht allein ) wenn man die Geschichte | ||||||
23 | befrägt, daß es jederzeit so gewesen sey, sondern auch wenn man nachsinnt, | ||||||
24 | ob jemals durch freye Religion und ohne eigentlichen Gottesdienst | ||||||
25 | nach göttlicher statutarischer Vorschrift eine Landesreligion bestehen kann, | ||||||
26 | das letztere zu seyn, und wenigstens in Ansehung gewisser Artikel ein | ||||||
27 | Zwangsglaube nöthig zu seyn und zwar, um eine Gemeinde zu machen, | ||||||
28 | welche gleichsam ein vereinigter geistlicher Körper ist, der sich wie ein | ||||||
29 | Staat in einer bestimmten Form erhält. ----------- Priester ist derjenige, | ||||||
30 | der im dem öffentlichen Glauben steht dafür angesehen gehalten wird, | ||||||
31 | daß seinen Händen die Ausspendung himmlischer Gnadenmittel ausschließlich | ||||||
32 | anvertraut sey. Der Priester ist ein Pfaffe, wenn er sich darum | ||||||
33 | als geistliche Obrigkeit aufführt. Ein Geistlicher ist der, welcher | ||||||
34 | Religionslehre und Seelsorge verbindet. Prediger, der blos Religionslehrer | ||||||
35 | ist. | ||||||
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