Kant: AA XIX, Erläuterungen zu A. G. Baumgartens ... , Seite 238 |
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01 | seyn vorher gehe, gleichwohl das letztere vor dem ersteren in dem Urtheil | ||||||
02 | der Vernunft vorher gehen müsse: daß die erste frage seyn muß, ob die | ||||||
03 | Persohn gut sey, und die zweyte nur: ob ihr Zustand gut und glüklich sey. | ||||||
04 | Wir würden eine Welt verachten und eine Regirung der Welt, worin es | ||||||
05 | anders geordnet wäre. Die Würdigkeit glüklich zu seyn ist zwar nicht | ||||||
06 | unser unmittelbarer Wunsch, aber die erste und unnachlaßliche condition, | ||||||
07 | unter welcher die Vernunft ihn billigt. | ||||||
08 | Es scheint aber auch, als wenn die Vernunft uns in diesem Geboth | ||||||
09 | auch etwas verspreche. Nämlich daß man hoffen könne glüklich zu seyn, | ||||||
10 | wenn man sich nur so verhält, daß man derselben nicht unwürdig ist. | ||||||
11 | Denn da der ohne zweifel ein Thor (g phantast, Grillenhaft. ) seyn würde, | ||||||
12 | welcher sich eigensinig einer Regel unterwürfe, ob er gleich wüste, daß er | ||||||
13 | seinen Zwek viel besser erreichen würde, wenn er gelegentlich Ausnahmen | ||||||
14 | davon machte: so würde folgen, daß man auch wohl ein dupe (g Gek ) der | ||||||
15 | Tugend seyn könne: ein unausstehlicher und ungereimter Gedanke. Es | ||||||
16 | komt daher manigmal auch wohl denkenden Persohnen in den Sinn, daß | ||||||
17 | sich so zu entrüsten, vornemlich über menschen, daß sie der tugend abtrünnig | ||||||
18 | werden wolten, und, weil diese gleichsam ihnen nicht wort hält, sondern | ||||||
19 | sie hintergeht, ihre Anmahnungen nicht zu hören. | ||||||
7060. υ. Pr 48. |
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21 | Der Lehrer des evangelii nahm setzte mit recht zum Grunde, daß die | ||||||
22 | zwey principia des Verhaltens, tugend und Glükseeligkeit, verschieden und | ||||||
23 | ursprünglich wären. Er bewies, daß die Verknüpfung davon nicht in der | ||||||
24 | Natur (dieser Welt) liege. Er sagte, man köne sie jedoch getrost glauben. | ||||||
25 | Aber er setzte die Bedingung hoch an und nach dem heiligsten Gesetz. Zeigte | ||||||
26 | die Menschliche Gebrechlichkeit und bösartigkeit und machte dadurch nahm | ||||||
27 | den moralischen Eigendünkel weg (Demuth) und, indem er das urtheil dadurch | ||||||
28 | geschärft hatte, so ließ er nichts übrig als Himmel und Hölle, das sind | ||||||
29 | Pr 49: Richtersprüche nach Der strengsten Beurtheilung. Er nahm noch | ||||||
30 | alle unmoralische Hülfsmittel der religionsobservanzen weg und machte dagegen | ||||||
31 | die Gütigkeit Gottes in allem dem, was nicht in unseren Kräften ist, | ||||||
32 | zum Gegenstande des Glaubens, so wohl was wenn wir mit so viel als | ||||||
33 | in unsern Kräften mit aufrichtigkeit zu leisten bestrebt sind. Er reinigte | ||||||
34 | die moral also von allen nachsichtlichen und eigenliebigen Einschränkungen. | ||||||
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