Kant: AA XVIII, Metaphysik Zweiter Theil , Seite 511

     
           
 

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  01 Aller Gebrauch der reinen Vernunft ist entweder ein Erfahrungsgebrauch,      
  02 dessen anwendung auf Erfahrung moglich ist, oder ein übers      
  03 chimärischer Gebrauch derselben. Die maxime des letzteren ist Wahn.      
           
  04 Dem Dem erstern wird entweder bloß ein Gegenstand der      
  05 Erfahrung zum Grunde gelegt oder auch ein Gegenstand der bloßen Vernunft,      
  06 aber die Anwendung auf Gegenstande der Erfahrung nach regeln      
  07 derselben. Das erste ist der physische, das Zweyte der reine Erfahrungsgebrauch      
  08 der reinen Vernunft.      
           
  09 Der die moglichkeit des letzten läugnet, ist ungläubig.      
           
   

 

6221.   ψ3.   Th 5'. 5.
 
     
  11 Th 5':      
  12 (g Das Bedürfnis der Vernunft, sich über die Dinge der Erfahrung      
  13 noch mehr zu denken, was nicht erfahren werden kan und      
  14 wegen der Zweke Vernunft hat, ist die erste Ursache, Götter anzunehmen. )      
  15      
           
  16 Wie sind die Menschen zuerst auf die Meynung von der Existenz unsichtbarer      
  17 Kräfte, die ihnen der gewohnliche Gang der Erfahrung nicht      
  18 lehren konnte, gekommen.      
           
  19 Entweder 1. durch den Weg der Vernunft, oder 2. der Einbildung;      
  20 (g Denn obiecte, die Nicht Erfahrung noch Vernunft gegeben hat, sind blos      
  21 durch Einbildung möglich; ) auf dem ersten: a. durch Vernunftbeweis, b.      
  22 durch Vernunftglauben; auf dem zweyten: a. durch Schwarmerey (g Vernunft      
  23 Anschauung ), oder b. Aberglauben.      
           
  24 Der erste Weg ist der nicht, welchen die Menschen zu Anfangs genommen      
  25 haben.      
           
  26 Auf dem zweyten wege ist die Leitung durch Schwarmerey auch nicht      
  27 die erste, denn die setzt Versuche, auch einige Anfänge von Vernunftkenntnis      
  28 voraus, die aber der (g Vernunft ) Einbildung nicht gnüge thun.      
  29 Also ist es Einbildung ohne den Leitfaden der Vernunft, mithin unterstützt      
  30 durch scheinbare Erfahrung, ohne ihre (g beständige ) Gesetzmäßigkeit      
  31 zu kennen (g erfodern ) (als worinn der Erfahrungsgebrauch der Vernunft      
  32 besteht), d.i. Aberglaube, der zuerst unsichtbare Krafte oder auch Mächte      
  33 auf die Bahn brachte.      
           
     

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