Kant: AA XVII, Reflexionen zur Metaphysik. , Seite 618

     
           
 

Zeile:

 

Text:

 

 

 

 
  01 Wenn gewisse Begriffe in uns nichts anders enthalten, als das,      
  02 wodurch alle Erfahrungen von unsrer Seite möglich sind, so k0nnen sie      
  03 vor der Erfahrung und doch mit volliger Gültigkeit vor alles, was uns      
  04 jemals vorkommen mag, a priori gesagt werden. Sie gelten alsdenn zwar      
  05 nicht von den Dingen überhaupt, aber doch von allem, was uns jemals      
  06 durch erfahrung kann gegeben werden, weil sie die Bedingungen enthalten,      
  07 wodurch diese Erfahrungen möglich sind. Solche Satze werden      
  08 also die Bedingung der Moglichkeit nicht der Dinge, sondern der Erfahrung      
  09 enthalten. Dinge aber, die durch keine Erfahrung      
  10 uns können gegeben werden, sind vor uns nichts; also können wir solche      
  11 Sätze als allgemein in practischer Absicht sehr wohl brauchen, nur nicht      
  12 als principien der speculation über Gegenstande überhaupt.      
           
  13 Um nun auszumachen, was das vor Begriffe seyn, die nothwendig      
  14 vor aller Erfahrung vorhergehen müssen und durch welche diese nur moglich      
  15 ist, die also a priori gegeben sind und auch den Grund zu den urtheilen      
  16 a priori enthalten, müssen wir eine Erfahrung überhaupt zergliedern,      
  17 In jeder Erfahrung ist etwas, wodurch uns ein Gegenstand      
  18 gegeben, und etwas, wodurch er Gedacht wird. Nehmen wir die Bedingungen,      
  19 die in den Thatigkeiten des gemüths liegen, wodurch er allein      
  20 gegeben werden kann, so kann man etwas von den obiecten a priori erkennen.      
  21 Nehmen wir das, wodurch er allein gedacht werden kann, so      
  22 kann man auch von allen möglichen Gegenständen etwas a priori erkennen.      
  23 Denn dadurch allein wird etwas vor uns ein Gegenstand oder      
  24 eine Erkenntnis desselben.      
           
  25 Wir wollen das erstere Untersuchen. Das, wodurch uns ein Gegenstand      
  26 (g der Erfahrung ) gegeben wird, heißt Erscheinung. Die Möglichkeit      
  27 der Erscheinungen ist von der seite des Menschlichen Gemüths sinnlichkeit.      
  28 In der Sinnlichkeit ist eine Materie, welche Empfindung heißt,      
  29 und in ansehung deren und ihrer Verschiedenheit sind wir blos leidend,      
  30 und die mannigfaltigkeit der Eindrücke macht, daß wir a priori nichts in      
  31 uns finden, was wir vor den Eindrücken aus uns a priori kenneten. Man      
  32 kann sich keinen neuen Eindruck von einer neuen art niemals in Gedanken      
     

[ Seite 617 ] [ Seite 619 ] [ Inhaltsverzeichnis ]