Kant: AA XI, Briefwechsel 1792 , Seite 398

     
           
 

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    552.      
  02 An Iohann Benjamin Erhard.      
           
  03 21. Dec. 1792.      
           
  04 Innigstgeliebter Freund      
  05 Daß Sie das Ausbleiben meiner über ein Iahr lang schuldigen      
  06 Antwort mit einigem Unwillen vermerken verdenke ich Ihnen gar nicht,      
  07 und doch kan ich es mir nicht als verschuldet anrechnen; weil ich die      
  08 Ursachen desselben, welche zu entfernen nicht in meinem Vermögen ist,      
  09 mehr fühlen als beschreiben kann. Selbst Ihre Freundschaft, auf die      
  10 ich rechne, macht mir den Aufschub von Zeit zu Zeit zuläßiger und      
  11 verzeihlicher, der aber durch den Beruf, den ich zu haben glaube,      
  12 meine Arbeiten zu vollenden und also den Faden derselben nicht gern,      
  13 wenn Disposition dazu da ist, fahren zu lassen, (diese Indisposition      
  14 aber welche mir das Alter zuzieht, kommt oft) und durch andere unumgängliche      
  15 Zwischenarbeiten, ja viele Briefe, deren Verfassern ich      
  16 so viel Nachsicht nicht zutrauen darf, mir fast abgedrungen wird.      
  17 Warum fügte es das Schicksal nicht einen Mann, den ich unter allen,      
  18 die unsere Gegend je besuchten, mir am liebsten zum täglichen Umgang      
  19 wünschte, mir näher zu bringen?      
           
  20 Die mit Hrn. Klein verhandelte Materien aus dem Criminalrecht      
  21 betreffend, erlauben Sie mir nur einiges wenige anzumerken; da      
  22 das Meiste vortreflich und ganz nach meinem Sinn ist; wobey ich      
  23 voraussetze, daß Sie eine Abschrift der Sätze mit eben denselben      
  24 Numern, als in Ihrem Briefe, bezeichnet vor sich haben.      
           
  25 ad. N. 5. Die Theologen sagten schon längst in ihrer Scholastik      
  26 von der eigentlichen Strafe ( poena vindicatiua ): sie würde zugefügt,      
  27 nicht ne peccetur , sondern quia peccatum est . Daher definirten sie      
  28 die Strafe durch malum physicum ob malum morale illatum . Strafen      
  29 sind in einer Welt, nach moralischen Principien regirt (von Gott),      
  30 categorisch nothwendig (so fern darinn Übertretungen angetroffen      
  31 werden). So fern sie aber von Menschen regiert wird ist die Nothwendigkeit      
  32 derselben nur hypothetisch und jene unmittelbare Verknüpfung      
  33 der Begriffe von Ubertretung und Strafwürdigkeit dienen den Regenten      
  34 nur zur Rechtfertigung, nicht zur Vorschrift in ihren Verfügungen,      
  35 und so kan man mit Ihnen wohl sagen: daß die poena meremoralis      
  36 (die darum vielleicht vindicatiua genannt worden ist, weil sie die Göttliche      
           
     

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