Kant: AA XI, Briefwechsel 1789 , Seite 115 |
|||||||
Zeile:
|
Text (Kant):
|
|
|
||||
| 01 | wärmsten Verehrer. Maimon habe ich bei ihm kennen gelernt. Sein | ||||||
| 02 | äußeres verspricht nicht viel, um so mehr, da er wenig und schlecht | ||||||
| 03 | spricht. Ich habe seine Transcendentalphilosophie zu lesen angefangen, | ||||||
| 04 | bin aber noch nicht weit fortgerückt; doch bin ich schon gleich Anfangs | ||||||
| 05 | nicht seiner Meinung; auch mangelt ihm, wie es mir scheint, sehr oft | ||||||
| 06 | Präcision. | ||||||
| 07 | Über HE Reinholds Theorie des Erkenntnißvermögens ist das | ||||||
| 08 | hiesige Publikum getheilt, ein Theil lobt das Buch außerordentlich, | ||||||
| 09 | ein anderer Theil findet mehreres daran zu tadeln. Ich kann immer | ||||||
| 10 | noch nicht so viel Zeit gewinnen das Buch zu Ende zu lesen, doch | ||||||
| 11 | bin ich mit dem Verfasser nicht überall einerlei Meinung, und oft | ||||||
| 12 | scheinen mir auch seine Beweise mangelhaft. Dis letztere ist z. B. der | ||||||
| 13 | Fall, bei dem Beweise, den er Seite 282 von dem Satze gegeben hat, | ||||||
| 14 | Mannigfaltigkeit ist das Criterium des Stofs der Vorstellung. | ||||||
| 15 | Er sagt nämlich, in der vom Subject zu unterscheidenden | ||||||
| 16 | Vorstellung muß sich etwas unterscheiden laßen, und dasjenige in ihr, | ||||||
| 17 | was sich unterscheiden läßt, kann nur der Stof sein, und alles was | ||||||
| 18 | in der Vorstellung Stof ist, muß sich unterscheiden laßen, d. h. mannigfaltig | ||||||
| 19 | sein. Mir ist dieser Beweis äußerst unverständlich und läßt | ||||||
| 20 | wie ich glaube mehrere Einwürfe zu; HE Reinhold der über manche | ||||||
| 21 | andere Dinge von weit geringerer Wichtigkeit sich so erschrecklich weitläuftig | ||||||
| 22 | ausgebreitet hat, ist hier kurz u. dunkel. Mir scheint folgender | ||||||
| 23 | Beweis, den ich Ew: Wohlgebohrn zur Prüfung vorlege, leichter und | ||||||
| 24 | verständlicher zu sein. Ieder Stof, wenn er Vorstellung werden soll, | ||||||
| 25 | muß durch mein Vorstellungsvermögen Form erhalten, diese Form ist | ||||||
| 26 | nichts anders als Verknüpfung, Verknüpfung setzt Mannigfaltiges | ||||||
| 27 | voraus, was verknüpft werden kann, folglich muß in jeder Vorstellung | ||||||
| 28 | Mannigfaltiges enthalten sein. - HE Reinhold nimmt sich bei diesem | ||||||
| 29 | Buche etwas sonderbar; unter andern hat er an D. Biester geschrieben, | ||||||
| 30 | er möchte sich doch das Buch kaufen, es lesen und es gegen die Rec. | ||||||
| 31 | die in der A. D. Bibl. davon erscheinen könnte, in Schutz nehmen. | ||||||
| 32 | Ich würde dis kaum glauben, wenn es D. Biester mir nicht selbst | ||||||
| 33 | erzählt hätte. Auch weiß ich, daß er unzufrieden darüber gewesen ist, | ||||||
| 34 | daß Sie ihm über dis Buch noch nichts geschrieben haben. | ||||||
| 35 | Ich habe jetzt durch meine Vorlesungen von neuem Gelegenheit | ||||||
| 36 | gehabt, über die Lehre vom R[aum] und Z[eit] nachzudenken, und da | ||||||
| 37 | ist es mir vorgekommen, als wenn man sich durch folgenden Gang | ||||||
| [ Seite 114 ] [ Seite 116 ] [ Inhaltsverzeichnis ] |
|||||||