Kant: AA VIII, Zum ewigen Frieden. Ein ... , Seite 377 |
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01 | Vernunft vom materialen Princip derselben, dem Zweck (als Gegenstand | ||||||
02 | der Willkür), der Anfang gemacht werden müsse, oder vom formalen, | ||||||
03 | d. i. demjenigen (bloß auf Freiheit im äußern Verhältniß gestellten), | ||||||
04 | darnach es heißt: handle so, daß du wollen kannst, deine Maxime solle | ||||||
05 | ein allgemeines Gesetz werden (der Zweck mag sein, welcher er wolle). | ||||||
06 | Ohne alle Zweifel muß das letztere Princip vorangehen: denn es | ||||||
07 | hat als Rechtsprincip unbedingte Nothwendigkeit, statt dessen das erstere | ||||||
08 | nur unter Voraussetzung empirischer Bedingungen des vorgesetzten Zwecks, | ||||||
09 | nämlich der Ausführung desselben, nöthigend ist, und wenn dieser Zweck | ||||||
10 | (z. B. der ewige Friede) auch Pflicht wäre, so müßte doch diese selbst aus | ||||||
11 | dem formalen Princip der Maximen äußerlich zu handeln abgeleitet | ||||||
12 | worden sein. - Nun ist das erstere Princip, das des politischen Moralisten | ||||||
13 | (das Problem des Staats=, Völker= und Weltbürgerrechts), eine | ||||||
14 | bloße Kunstaufgabe ( problema technicum ), das zweite dagegen, als | ||||||
15 | Princip des moralischen Politikers, welchem es eine sittliche Aufgabe | ||||||
16 | ( problema morale ) ist, im Verfahren von dem anderen himmelweit | ||||||
17 | unterschieden, um den ewigen Frieden, den man nun nicht bloß als physisches | ||||||
18 | Gut, sondern auch als einen aus Pflichtanerkennung hervorgehenden Zustand | ||||||
19 | wünscht, herbeizuführen. | ||||||
20 | Zur Auflösung des ersten, nämlich des Staats=Klugheitsproblems, | ||||||
21 | wird viel Kenntniß der Natur erfordert, um ihren Mechanism zu dem | ||||||
22 | gedachten Zweck zu benutzen, und doch ist alle diese ungewiß in Ansehung | ||||||
23 | ihres Resultats, den ewigen Frieden betreffend; man mag nun die eine | ||||||
24 | oder die andere der drei Abtheilungen des öffentlichen Rechts nehmen. | ||||||
25 | Ob das Volk im Gehorsam und zugleich im Flor besser durch Strenge, | ||||||
26 | oder Lockspeise der Eitelkeit, ob durch Obergewalt eines Einzigen, oder | ||||||
27 | durch Vereinigung mehrerer Häupter, vielleicht auch bloß durch einen | ||||||
28 | Dienstadel, oder durch Volksgewalt im Innern und zwar auf lange Zeit | ||||||
29 | gehalten werden könne, ist ungewiß. Man hat von allen Regierungsarten | ||||||
30 | (die einzige ächt=republikanische, die aber nur einem moralischen Politiker | ||||||
31 | in den Sinn kommen kann, ausgenommen) Beispiele des Gegentheils in | ||||||
32 | der Geschichte. - Noch ungewisser ist ein auf Statute nach Ministerialplanen | ||||||
33 | vorgeblich errichtetes Völkerrecht, welches in der That nur ein | ||||||
34 | Wort ohne Sache ist und auf Verträgen beruht, die in demselben Act | ||||||
35 | ihrer Beschließung zugleich den geheimen Vorbehalt ihrer Übertretung | ||||||
36 | enthalten. - Dagegen dringt sich die Auflösung des zweiten, nämlich des | ||||||
37 | Staatsweisheitsproblems, so zu sagen von selbst auf, ist jedermann | ||||||
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