Kant: AA VIII, Zum ewigen Frieden. Ein ... , Seite 372 |
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01 | Freilich, wenn es keine Freiheit und darauf gegründetes moralisches | ||||||
02 | Gesetz giebt, sondern alles, was geschieht oder geschehen kann, bloßer | ||||||
03 | Mechanism der Natur ist, so ist Politik (als Kunst, diesen zur Regierung | ||||||
04 | der Menschen zu benutzen) die ganze praktische Weisheit und der Rechtsbegriff | ||||||
05 | ein sachleerer Gedanke. Findet man diesen aber doch unumgänglich | ||||||
06 | nöthig mit der Politik zu verbinden, ja ihn gar zur einschränkenden | ||||||
07 | Bedingung der letztern zu erheben, so muß die Vereinbarkeit beider eingeräumt | ||||||
08 | werden. Ich kann mir nun zwar einen moralischen Politiker, | ||||||
09 | d. i. einen, der die Principien der Staatsklugheit so nimmt, daß sie mit | ||||||
10 | der Moral zusammen bestehen können, aber nicht einen politischen Moralisten | ||||||
11 | denken, der sich eine Moral so schmiedet, wie es der Vortheil des | ||||||
12 | Staatsmanns sich zuträglich findet. | ||||||
13 | Der moralische Politiker wird es sich zum Grundsatz machen: wenn | ||||||
14 | einmal Gebrechen in der Staatsverfassung oder im Staatenverhältniß angetroffen | ||||||
15 | werden, die man nicht hat verhüten können, so sei es Pflicht, | ||||||
16 | vornehmlich für Staatsoberhäupter, dahin bedacht zu sein, wie sie sobald | ||||||
17 | wie möglich gebessert und dem Naturrecht, so wie es in der Idee der Vernunft | ||||||
18 | uns zum Muster vor Augen steht, angemessen gemacht werden könne: | ||||||
19 | sollte es auch ihrer Selbstsucht Aufopferungen kosten. Da nun die Zerreißung | ||||||
20 | eines Bandes der Staats= oder weltbürgerlichen Vereinigung, ehe | ||||||
21 | noch eine bessere Verfassung an die Stelle derselben zu treten in Bereitschaft | ||||||
22 | ist, aller hierin mit der Moral einhelligen Staatsklugheit zuwider | ||||||
23 | ist, so wäre es zwar ungereimt, zu fordern, jenes Gebrechen müsse sofort | ||||||
24 | und mit Ungestüm abgeändert werden; aber daß wenigstens die Maxime | ||||||
25 | der Nothwendigkeit einer solchen Abänderung dem Machthabenden innigst | ||||||
26 | beiwohne, um in beständiger Annäherung zu dem Zwecke (der nach Rechtsgesetzen | ||||||
27 | besten Verfassung) zu bleiben, das kann doch von ihm gefordert | ||||||
28 | werden. Ein Staat kann sich auch schon republikanisch regieren, wenn er | ||||||
29 | gleich noch der vorliegenden Constitution nach despotische Herrschermacht | ||||||
30 | besitzt: bis allmählig das Volk des Einflusses der bloßen Idee der Autorität | ||||||
31 | des Gesetzes (gleich als ob es physische Gewalt besäße) fähig wird | ||||||
32 | und sonach zur eigenen Gesetzgebung (welche ursprünglich auf Recht gegründet | ||||||
33 | ist) tüchtig befunden wird. Wenn auch durch den Ungestüm einer | ||||||
34 | von der schlechten Verfassung erzeugten Revolution unrechtmäßigerweise | ||||||
35 | eine gesetzmäßigere errungen wäre, so würde es doch auch alsdann nicht | ||||||
36 | mehr für erlaubt gehalten werden müssen, das Volk wieder auf die alte | ||||||
37 | zurück zu führen, obgleich während derselben jeder, der sich damit gewaltthätig | ||||||
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