Kant: AA VIII, Recensionen von J. G. Herders ... , Seite 053

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 er gleich jene continuirliche Gradation ihrer Geschöpfe sammt der Regel derselben,      
  02 nämlich der Annäherung zum Menschen, einräumen wollte, doch      
  03 nicht einsehe. Denn es sind da verschiedene Wesen, welche die mancherlei      
  04 Stufen der immer vollkommneren Organisation besetzen. Also würde      
  05 nach einer solchen Analogie nur geschlossen werden können: daß irgend      
  06 anderswo, etwa in einem andern Planeten, wiederum Geschöpfe sein      
  07 dürften, die die nächst höhere Stufe der Organisation über den Menschen      
  08 behaupteten, nicht aber daß dasselbe Individuum hiezu gelange. Bei      
  09 den aus Maden oder Raupen sich entwickelnden fliegenden Thierchen ist      
  10 hier eine ganz eigene und von dem gewöhnlichen Verfahren der Natur      
  11 verschiedene Anstalt, und doch auch da folgt die Palingenesie nicht auf den      
  12 Tod, sondern nur auf den Puppenzustand. Dagegen hier gewiesen      
  13 werden müßte: daß die Natur Thiere selbst nach ihrer Verwesung oder Verbrennung      
  14 aus ihrer Asche in specifisch vollkommenerer Organisation aufsteigen      
  15 lasse, damit man nach der Analogie dieses auch vom Menschen, der      
  16 hier in Asche verwandelt wird, schließen könne. Es ist also zwischen der      
  17 Stufenerhebung eben desselben Menschen zu einer vollkommneren Organisation      
  18 in einem andern Leben und der Stufenleiter, welche man sich unter      
  19 ganz verschiedenen Arten und Individuen eines Naturreichs denken mag,      
  20 nicht die mindeste Ähnlichkeit. Hier läßt uns die Natur nichts anders      
  21 sehen, als daß sie die Individuen der völligen Zerstörung überlasse und      
  22 nur die Art erhalte; dort aber verlangt man zu wissen, ob auch das      
  23 Individuum vom Menschen seine Zerstörung hier auf Erden überleben      
  24 werde, welches vielleicht aus moralischen, oder, wenn man will, metaphysischen      
  25 Gründen, niemals aber nach irgend einer Analogie der sichtbaren      
  26 Erzeugung geschlossen werden kann. Was nun aber jenes unsichtbare      
  27 Reich wirksamer und selbstständiger Kräfte anlangt, so ist nicht wohl abzusehen,      
  28 warum der Verfasser, nachdem er geglaubt hat aus den organischen      
  29 Erzeugungen auf dessen Existenz sicher schließen zu können, nicht lieber      
  30 das denkende Princip im Menschen dahin unmittelbar, als blos geistige      
  31 Natur, übergehen ließ, ohne solches durch das Bauwerk der Organisation      
  32 aus dem Chaos herauszuheben; es müßte denn sein, daß er diese geistigen      
  33 Kräfte für ganz etwas anders als die menschliche Seele hielt und diese      
  34 nicht als besondere Substanz, sondern blos als Effect einer auf Materie      
  35 einwirkenden und sie belebenden unsichtbaren allgemeinen Natur ansähe,      
  36 welche Meinung wir doch ihm beizulegen billig Bedenken tragen. Allein      
  37 was soll man überhaupt von der Hypothese unsichtbarer, die Organisation      
           
     

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