Kant: AA VIII, Recensionen von J. G. Herders ... , Seite 054 |
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01 | bewirkender Kräfte, mithin von dem Anschlage, das, was man nicht | ||||||
02 | begreift, aus demjenigen erklären zu wollen, was man noch weniger | ||||||
03 | begreift, denken? Von jenem können wir doch wenigstens die Gesetze | ||||||
04 | durch Erfahrung kennen lernen, obgleich freilich die Ursachen derselben | ||||||
05 | unbekannt bleiben; von diesem ist uns sogar alle Erfahrung benommen, | ||||||
06 | und was kann der Philosoph nun hier zur Rechtfertigung seines Vorgebens | ||||||
07 | anführen, als die bloße Verzweifelung den Aufschluß in irgend | ||||||
08 | einer Kenntniß der Natur zu finden und den abgedrungenen Entschluß | ||||||
09 | sie im fruchtbaren Felde der Dichtungskraft zu suchen? Auch ist dieses | ||||||
10 | immer Metaphysik, ja sogar sehr dogmatische, so sehr sie auch unser Schriftsteller, | ||||||
11 | weil es die Mode so will, von sich ablehnt. | ||||||
12 | Was indessen die Stufenleiter der Organisationen betrifft, so darf | ||||||
13 | man es ihm nicht so sehr zum Vorwurf anrechnen, wenn sie zu seiner weit | ||||||
14 | über diese Welt hinausreichenden Absicht nicht hat zulangen wollen; denn | ||||||
15 | ihr Gebrauch in Ansehung der Naturreiche hier auf Erden führt eben sowohl | ||||||
16 | auf nichts. Die Kleinheit der Unterschiede, wenn man die Gattungen | ||||||
17 | ihrer Ähnlichkeit nach an einander paßt, ist bei so großer Mannigfaltigkeit | ||||||
18 | eine nothwendige Folge eben dieser Mannigfaltigkeit. Nur eine Verwandtschaft | ||||||
19 | unter ihnen, da entweder eine Gattung aus der andern und | ||||||
20 | alle aus einer einzigen Originalgattung oder etwa aus einem einzigen | ||||||
21 | erzeugenden Mutterschooße entsprungen wären, würde auf Ideen führen, | ||||||
22 | die aber so ungeheuer sind, daß die Vernunft vor ihnen zurückbebt, dergleichen | ||||||
23 | man unserm Verf., ohne ungerecht zu sein, nicht beimessen darf. | ||||||
24 | Was den Beitrag desselben zur vergleichenden Anatomie durch alle Thiergattungen | ||||||
25 | bis herab zur Pflanze betrifft, so mögen die, so die Naturbeschreibung | ||||||
26 | bearbeiten, selbst urtheilen, wiefern die Anweisung, die er | ||||||
27 | hier zu neuen Beobachtungen giebt, ihnen nutzen könne, und ob sie wohl | ||||||
28 | überhaupt einigen Grund habe. Aber die Einheit der organischen Kraft | ||||||
29 | (S. 141), die als selbstbildend in Ansehung der Mannigfaltigkeit aller | ||||||
30 | organischen Geschöpfe und nachher nach Verschiedenheit dieser Organen | ||||||
31 | durch sie auf verschiedene Art wirkend den ganzen Unterschied ihrer mancherlei | ||||||
32 | Gattungen und Arten ausmache, ist eine Idee, die ganz außer dem | ||||||
33 | Felde der beobachtenden Naturlehre liegt und zur blos speculativen Philosophie | ||||||
34 | gehört, darin sie denn auch, wenn sie Eingang fände, große Verwüstungen | ||||||
35 | unter den angenommenen Begriffen anrichten würde. Allein | ||||||
36 | bestimmen zu wollen, welche Organisirung des Kopfs äußerlich in seiner | ||||||
37 | Figur und innerlich in Ansehung seines Gehirns mit der Anlage zum aufrechten | ||||||
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