Kant: AA VI, Die Religion innerhalb der ... , Seite 033 |
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01 | die Erfahrung an den Thaten der Menschen vor Augen stellt, den förmlichen | ||||||
02 | Beweis ersparen. Will man sie aus demjenigen Zustande haben, in | ||||||
03 | welchem manche Philosophen die natürliche Gutartigkeit der menschlichen | ||||||
04 | Natur vorzüglich anzutreffen hofften, nämlich aus dem sogenannten Naturzustande | ||||||
05 | so darf man nur die Auftritte von ungereizter Grausamkeit | ||||||
06 | in den Mordscenen auf Tofoa, Neuseeland, den Navigatorsinseln | ||||||
07 | und die nie aufhörende in den weiten Wüsten des nordwestlichen | ||||||
08 | Amerika (die Kapt. Hearne anführt), wo sogar kein Mensch den mindesten | ||||||
09 | Vortheil davon hat, †) mit jener Hypothese vergleichen, und man | ||||||
10 | hat Laster der Rohigkeit, mehr als nöthig ist, um von dieser Meinung abzugehen. | ||||||
11 | Ist man aber für die Meinung gestimmt, daß sich die menschliche | ||||||
12 | Natur im gesitteten Zustand (worin sich ihre Anlagen vollständiger | ||||||
13 | entwickeln können) besser erkennen lasse, so wird man eine lange melancholische | ||||||
14 | Litanei von Anklagen der Menschheit anhören müssen: von geheimer | ||||||
15 | Falschheit selbst bei der innigsten Freundschaft, so daß die Mäßigung des | ||||||
16 | Vertrauens in wechselseitiger Eröffnung auch der besten Freunde zur allgemeinen | ||||||
17 | Maxime der Klugheit im Umgange gezählt wird; von einem | ||||||
18 | Hange, denjenigen zu hassen, dem man verbindlich ist, worauf ein Wohlthäter | ||||||
19 | jederzeit gefaßt sein müsse; von einem herzlichen Wohlwollen, | ||||||
20 | welches doch die Bemerkung zuläßt, "es sei in dem Unglück unsrer besten | ||||||
21 | Freunde etwas, das uns nicht ganz mißfällt;" und von vielen andern | ||||||
22 | unter dem Tugendscheine noch verborgenen, geschweige derjenigen Laster, | ||||||
23 | die ihrer gar nicht Hehl haben, weil uns der schon gut heißt, der ein | ||||||
24 | böser Mensch von der allgemeinen Klasse ist: und er wird an den | ||||||
25 | Lastern der Cultur und Civilisirung (den kränkendsten unter allen) genug | ||||||
†) Wie der immerwährende Krieg zwischen den Arathapescau= und den Hundsribben=Indianern keine andere Absicht, als bloß das Todtschlagen hat. Kriegstapferkeit ist die höchste Tugend der Wilden in ihrer Meinung. Auch im gesitteten Zustande ist sie ein Gegenstand der Bewunderung und ein Grund der vorzüglichen Achtung, die derjenige Stand fordert, bei dem diese das einzige Verdienst ist; und dieses nicht ohne allen Grund in der Vernunft. Denn daß der Mensch etwas haben und sich zum Zweck machen könne, was er noch höher schätzt als sein Leben (die Ehre), wobei er allem Eigennutze entsagt, beweist doch eine gewisse Erhabenheit in seiner Anlage. Aber man sieht doch an der Behaglichkeit, womit die Sieger ihre Großthaten (des Zusammenhauens, Niederstoßens ohne Verschonen u. d. gl.) preisen, daß blos ihre Überlegenheit und die Zerstörung, welche sie bewirken konnten, ohne einen andern Zweck das sei, worauf sie sich eigentlich etwas zu gute thun. | |||||||
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