Kant: AA IV, Grundlegung zur Metaphysik der ... , Seite 453

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 vernünftiger Wesen eben so zum Grunde liegt, als das Naturgesetz      
  02 allen Erscheinungen.      
           
  03 Nun ist der Verdacht, den wir oben rege machten, gehoben, als wäre      
  04 ein geheimer Cirkel in unserem Schlusse aus der Freiheit auf die Autonomie      
  05 und aus dieser aufs sittliche Gesetz enthalten, daß wir nämlich      
  06 vielleicht die Idee der Freiheit nur um des sittlichen Gesetzes willen zum      
  07 Grunde legten, um dieses nachher aus der Freiheit wiederum zu schließen,      
  08 mithin von jenem gar keinen Grund angeben könnten, sondern es nur als      
  09 Erbittung eines Princips, das uns gutgesinnte Seelen wohl gerne einräumen      
  10 werden, welches wir aber niemals als einen erweislichen Satz      
  11 aufstellen könnten. Denn jetzt sehen wir, daß, wenn wir uns als frei      
  12 denken, so versetzen wir uns als Glieder in die Verstandeswelt und erkennen      
  13 die Autonomie des Willens sammt ihrer Folge, der Moralität;      
  14 denken wir uns aber als verpflichtet, so betrachten wir uns als zur Sinnenwelt      
  15 und doch zugleich zur Verstandeswelt gehörig.      
           
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Wie ist ein kategorischer Imperativ möglich?
     
           
  17 Das vernünftige Wesen zählt sich als Intelligenz zur Verstandeswelt,      
  18 und bloß als eine zu dieser gehörige wirkende Ursache nennt es seine      
  19 Causalität einen Willen. Von der anderen Seite ist es sich seiner doch      
  20 auch als eines Stücks der Sinnenwelt bewußt, in welcher seine Handlungen      
  21 als bloße Erscheinungen jener Causalität angetroffen werden, deren      
  22 Möglichkeit aber aus dieser, die wir nicht kennen, nicht eingesehen werden      
  23 kann, sondern an deren Statt jene Handlungen als bestimmt durch andere      
  24 Erscheinungen, nämlich Begierden und Neigungen, als zur Sinnenwelt      
  25 gehörig eingesehen werden müssen. Als bloßen Gliedes der Verstandeswelt      
  26 würden also alle meine Handlungen dem Princip der Autonomie des      
  27 reinen Willens vollkommen gemäß sein; als bloßen Stücks der Sinnenwelt      
  28 würden sie gänzlich dem Naturgesetz der Begierden und Neigungen,      
  29 mithin der Heteronomie der Natur gemäß genommen werden müssen.      
  30 (Die ersteren würden auf dem obersten Princip der Sittlichkeit, die zweiten      
  31 der Glückseligkeit beruhen.) Weil aber die Verstandeswelt den      
  32 Grund der Sinnenwelt, mithin auch der Gesetze derselben enthält,      
  33 also in Ansehung meines Willens (der ganz zur Verstandeswelt gehört)      
  34 unmittelbar gesetzgebend ist und also auch als solche gedacht werden      
  35 muß, so werde ich mich als Intelligenz, obgleich andererseits wie ein zur      
           
     

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