Kant: AA IV, Grundlegung zur Metaphysik der ... , Seite 452 |
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Text (Kant):
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| 01 | die ihm vorkommen mögen, fällen; vermuthlich ist er auch im gemeinsten | ||||||
| 02 | Verstande anzutreffen, der, wie bekannt, sehr geneigt ist, hinter den Gegenständen | ||||||
| 03 | der Sinne noch immer etwas Unsichtbares, für sich selbst Thätiges | ||||||
| 04 | zu erwarten, es aber wiederum dadurch verdirbt, daß er dieses Unsichtbare | ||||||
| 05 | sich bald wiederum versinnlicht, d. i. zum Gegenstande der Anschauung | ||||||
| 06 | machen will, und dadurch also nicht um einen Grad klüger wird. | ||||||
| 07 | Nun findet der Mensch in sich wirklich ein Vermögen, dadurch er sich | ||||||
| 08 | von allen andern Dingen, ja von sich selbst, so fern er durch Gegenstände | ||||||
| 09 | afficirt wird, unterscheidet, und das ist die Vernunft. Diese, als reine | ||||||
| 10 | Selbstthätigkeit, ist sogar darin noch über den Verstand erhoben: daß, | ||||||
| 11 | obgleich dieser auch Selbstthätigkeit ist und nicht wie der Sinn bloß Vorstellungen | ||||||
| 12 | enthält, die nur entspringen, wenn man von Dingen afficirt | ||||||
| 13 | (mithin leidend) ist, er dennoch aus seiner Thätigkeit keine andere Begriffe | ||||||
| 14 | hervorbringen kann als die, so bloß dazu dienen, um die sinnlichen | ||||||
| 15 | Vorstellungen unter Regeln zu bringen und sie dadurch in einem | ||||||
| 16 | Bewußtsein zu vereinigen, ohne welchen Gebrauch der Sinnlichkeit er gar | ||||||
| 17 | nichts denken würde, da hingegen die Vernunft unter dem Namen der | ||||||
| 18 | Ideen eine so reine Spontaneität zeigt, daß sie dadurch weit über alles, | ||||||
| 19 | was ihr Sinnlichkeit nur liefern kann, hinausgeht und ihr vornehmstes | ||||||
| 20 | Geschäfte darin beweiset, Sinnenwelt und Verstandeswelt von einander | ||||||
| 21 | zu unterscheiden, dadurch aber dem Verstande selbst seine Schranken vorzuzeichnen. | ||||||
| 23 | Um deswillen muß ein vernünftiges Wesen sich selbst als Intelligenz | ||||||
| 24 | (also nicht von Seiten seiner untern Kräfte), nicht als zur Sinnen=, | ||||||
| 25 | sondern zur Verstandeswelt gehörig, ansehen; mithin hat es zwei Standpunkte, | ||||||
| 26 | daraus es sich selbst betrachten und Gesetze des Gebrauchs seiner | ||||||
| 27 | Kräfte, folglich aller seiner Handlungen erkennen kann, einmal, so fern | ||||||
| 28 | es zur Sinnenwelt gehört, unter Naturgesetzen (Heteronomie), zweitens, | ||||||
| 29 | als zur intelligibelen Welt gehörig, unter Gesetzen, die, von der Natur unabhängig, | ||||||
| 30 | nicht empirisch, sondern bloß in der Vernunft gegründet sind. | ||||||
| 31 | Als ein vernünftiges, mithin zur intelligibelen Welt gehöriges Wesen | ||||||
| 32 | kann der Mensch die Causalität seines eigenen Willens niemals anders | ||||||
| 33 | als unter der Idee der Freiheit denken; denn Unabhängigkeit von den | ||||||
| 34 | bestimmenden Ursachen der Sinnenwelt (dergleichen die Vernunft jederzeit | ||||||
| 35 | sich selbst beilegen muß) ist Freiheit. Mit der Idee der Freiheit ist nun | ||||||
| 36 | der Begriff der Autonomie unzertrennlich verbunden, mit diesem aber | ||||||
| 37 | das allgemeine Princip der Sittlichkeit, welches in der Idee allen Handlungen | ||||||
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