Kant: AA IV, Grundlegung zur Metaphysik der ... , Seite 450 |
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| 01 | fühlen glaubt, gegen den der eines angenehmen oder unangenehmen Zustandes | ||||||
| 02 | für nichts zu halten sei, keine genugthuende Antwort geben. | ||||||
| 03 | Zwar finden wir wohl, daß wir an einer persönlichen Beschaffenheit | ||||||
| 04 | ein Interesse nehmen können, die gar kein Interesse des Zustandes bei sich | ||||||
| 05 | führt, wenn jene uns nur fähig macht, des letzteren theilhaftig zu werden, | ||||||
| 06 | im Falle die Vernunft die Austheilung desselben bewirken sollte, d. i. daß die | ||||||
| 07 | bloße Würdigkeit, glücklich zu sein, auch ohne den Bewegungsgrund, dieser | ||||||
| 08 | Glückseligkeit theilhaftig zu werden, für sich interessiren könne: aber dieses | ||||||
| 09 | Urtheil ist in der That nur die Wirkung von der schon vorausgesetzten | ||||||
| 10 | Wichtigkeit moralischer Gesetze (wenn wir uns durch die Idee der Freiheit | ||||||
| 11 | von allem empirischen Interesse trennen); aber daß wir uns von diesem | ||||||
| 12 | trennen, d. i. uns als frei im Handeln betrachten und so uns dennoch für | ||||||
| 13 | gewissen Gesetzen unterworfen halten sollen, um einen Werth bloß in unserer | ||||||
| 14 | Person zu finden, der uns allen Verlust dessen, was unserem Zustande | ||||||
| 15 | einen Werth verschafft, vergüten könne, und wie dieses möglich sei, mithin | ||||||
| 16 | woher das moralische Gesetz verbinde, können wir auf solche Art | ||||||
| 17 | noch nicht einsehen. | ||||||
| 18 | Es zeigt sich hier, man muß es frei gestehen, eine Art von Cirkel, aus | ||||||
| 19 | dem, wie es scheint, nicht heraus zu kommen ist. Wir nehmen uns in der | ||||||
| 20 | Ordnung der wirkenden Ursachen als frei an, um uns in der Ordnung | ||||||
| 21 | der Zwecke unter sittlichen Gesetzen zu denken, und wir denken uns nachher | ||||||
| 22 | als diesen Gesetzen unterworfen, weil wir uns die Freiheit des Willens | ||||||
| 23 | beigelegt haben; denn Freiheit und eigene Gesetzgebung des Willens sind | ||||||
| 24 | beides Autonomie, mithin Wechselbegriffe, davon aber einer eben um deswillen | ||||||
| 25 | nicht dazu gebraucht werden kann, um den anderen zu erklären und | ||||||
| 26 | von ihm Grund anzugeben, sondern höchstens nur, um in logischer Absicht | ||||||
| 27 | verschieden scheinende Vorstellungen von eben demselben Gegenstande | ||||||
| 28 | auf einen einzigen Begriff (wie verschiedne Brüche gleichen Inhalts auf | ||||||
| 29 | die kleinsten Ausdrücke) zu bringen. | ||||||
| 30 | Eine Auskunft bleibt uns aber noch übrig, nämlich zu suchen: ob | ||||||
| 31 | wir, wenn wir uns durch Freiheit als a priori wirkende Ursachen denken, | ||||||
| 32 | nicht einen anderen Standpunkt einnehmen, als wenn wir uns selbst nach | ||||||
| 33 | unseren Handlungen als Wirkungen, die wir vor unseren Augen sehen, | ||||||
| 34 | uns vorstellen. | ||||||
| 35 | Es ist eine Bemerkung, welche anzustellen eben kein subtiles Nachdenken | ||||||
| 36 | erfordert wird, sondern von der man annehmen kann, daß sie wohl | ||||||
| 37 | der gemeinste Verstand, obzwar nach seiner Art durch eine dunkele Unterscheidung | ||||||
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