Kant: AA IV, Prolegomena zu einer jeden ... , Seite 300 |
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Text (Kant):
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| 01 | § 20. |
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| 02 | Wir werden daher Erfahrung überhaupt zergliedern müssen, um zu | ||||||
| 03 | sehen, was in diesem Product der Sinne und des Verstandes enthalten | ||||||
| 04 | und wie das Erfahrungsurtheil selbst möglich sei. Zum Grunde liegt die | ||||||
| 05 | Anschauung, deren ich mir bewußt bin, d. i. Wahrnehmung ( perceptio ), | ||||||
| 06 | die blos den Sinnen angehört. Aber zweitens gehört auch dazu das Urtheilen | ||||||
| 07 | (das blos dem Verstande zukommt). Dieses Urtheilen kann nun | ||||||
| 08 | zwiefach sein: erstlich, indem ich blos die Wahrnehmungen vergleiche und | ||||||
| 09 | in einem Bewußtsein meines Zustandes, oder zweitens, da ich sie in einem | ||||||
| 10 | Bewußtsein überhaupt verbinde. Das erstere Urtheil ist blos ein Wahrnehmungsurtheil | ||||||
| 11 | und hat so fern nur subjective Gültigkeit, es ist blos | ||||||
| 12 | Verknüpfung der Wahrnehmungen in meinem Gemüthszustande ohne Beziehung | ||||||
| 13 | auf den Gegenstand. Daher ist es nicht, wie man gemeiniglich | ||||||
| 14 | sich einbildet, zur Erfahrung gnug, Wahrnehmungen zu vergleichen und | ||||||
| 15 | in einem Bewußtsein vermittelst des Urtheilens zu verknüpfen; dadurch | ||||||
| 16 | entspringt keine Allgemeingültigkeit und Nothwendigkeit des Urtheils, um | ||||||
| 17 | deren Willen es allein objectiv gültig und Erfahrung sein kann. | ||||||
| 18 | Es geht also noch ein ganz anderes Urtheil voraus, ehe aus Wahrnehmung | ||||||
| 19 | Erfahrung werden kann. Die gegebene Anschauung muß unter | ||||||
| 20 | einem Begriff subsumiert werden, der die Form des Urtheilens überhaupt | ||||||
| 21 | in Ansehung der Anschauung bestimmt, das empirische Bewußtsein der | ||||||
| 22 | letzteren in einem Bewußtsein überhaupt verknüpft und dadurch den empirischen | ||||||
| 23 | Urtheilen Allgemeingültigkeit verschafft; dergleichen Begriff ist | ||||||
| 24 | ein reiner Verstandesbegriff a priori, welcher nichts thut, als blos einer | ||||||
| 25 | Anschauung die Art überhaupt zu bestimmen, wie sie zu Urtheilen dienen | ||||||
| 26 | kann. Es sei ein solcher Begriff der Begriff der Ursache, so bestimmt er | ||||||
| 27 | die Anschauung, die unter ihm subsumiert ist, z. B. die der Luft in Ansehung | ||||||
| 28 | des Urtheilens überhaupt, nämlich daß der Begriff der Luft in Ansehung | ||||||
| 29 | der Ausspannung in dem Verhältniß der Antecedens zum Consequens | ||||||
| 30 | in einem hypothetischen Urtheile diene. Der Begriff der Ursache | ||||||
| 31 | ist also ein reiner Verstandesbegriff, der von aller möglichen Wahrnehmung | ||||||
| 32 | gänzlich unterschieden ist und nur dazu dient, diejenige Vorstellung, | ||||||
| 33 | die unter ihm enthalten ist, in Ansehung des Urtheilens überhaupt zu bestimmen, | ||||||
| 34 | mithin ein allgemeingültiges Urtheil möglich zu machen. | ||||||
| 35 | Nun wird, ehe aus einem Wahrnehmungsurtheil ein Urtheil der Erfahrung | ||||||
| 36 | werden kann, zuerst erfordert: daß die Wahrnehmung unter | ||||||
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