Kant: AA IV, Prolegomena zu einer jeden ... , Seite 301

     
           
 

Zeile:

 

Text (Kant):

 

 

 

 
  01 einem dergleichen Verstandesbegriffe subsumirt werde; z. B. die Luft gehört      
  02 unter den Begriff der Ursache, welche das Urtheil über dieselbe in      
  03 Ansehung der Ausdehnung als hypothetisch bestimmt.*) Dadurch wird      
  04 nun nicht diese Ausdehnung als blos zu meiner Wahrnehmung der Luft      
  05 in meinem Zustande, oder in mehrern meiner Zustände, oder in dem Zustande      
  06 der Wahrnehmung anderer gehörig, sondern als dazu nothwendig      
  07 gehörig vorgestellt; und das Urtheil: die Luft ist elastisch, wird allgemeingültig      
  08 und dadurch allererst Erfahrungsurtheil, daß gewisse Urtheile vorhergehen,      
  09 die die Anschauung der Luft unter den Begriff der Ursache und      
  10 Wirkung subsumiren und dadurch die Wahrnehmungen nicht blos respective      
  11 auf einander in meinem Subjecte, sondern in Ansehung der Form      
  12 des Urtheilens überhaupt (hier der hypothetischen) bestimmen und auf      
  13 solche Art das empirische Urtheil allgemeingültig machen.      
           
  14 Zergliedert man alle seine synthetische Urtheile, so fern sie objectiv      
  15 gelten, so findet man, daß sie niemals aus bloßen Anschauungen bestehen,      
  16 die blos, wie man gemeiniglich dafür hält, durch Vergleichung in einem Urtheil      
  17 verknüpft worden, sondern daß sie unmöglich sein würden, wäre nicht      
  18 über die von der Anschauung abgezogene Begriffe noch ein reiner Verstandesbegriff      
  19 hinzugekommen, unter dem jene Begriffe subsumirt und so      
  20 allererst in einem objectiv gültigen Urtheile verknüpft worden. Selbst die      
  21 Urtheile der reinen Mathematik in ihren einfachsten Axiomen sind von      
  22 dieser Bedingung nicht ausgenommen. Der Grundsatz: die gerade Linie      
  23 ist die kürzeste zwischen zwei Punkten, setzt voraus, daß die Linie unter den      
  24 Begriff der Größe subsumirt werde, welcher gewiß keine bloße Anschauung      
  25 ist, sondern lediglich im Verstande seinen Sitz hat und dazu dient, die Anschauung      
  26 (der Linie) in Absicht auf die Urtheile, die von ihr gefällt werden      
  27 mögen, in Ansehung der Quantität derselben, nämlich der Vielheit, (als      
           
    *) um ein leichter einzusehendes Beispiel zu haben, nehme man folgendes: wenn die Sonne den Stein bescheint, so wird er warm. Dieses Urtheil ist ein bloßes Wahrnehmungsurtheil und enthält keine Nothwendigkeit, ich mag dieses noch so oft und andere auch noch so oft wahrgenommen haben; die Wahrnehmungen finden sich nur gewöhnlich so verbunden. Sage ich aber: die Sonne erwärmt den Stein, so kommt über die Wahrnehmung noch der Verstandesbegriff der Ursache hinzu, der mit dem Begriff des Sonnenscheins den der Wärme nothwendig verknüpft, und das synthetische Urtheil wird nothwendig allgemeingültig, folglich objectiv, und aus einer Wahrnehmung in Erfahrung verwandelt.      
           
     

[ Seite 300 ] [ Seite 302 ] [ Inhaltsverzeichnis ]