| Kant: AA IV, Prolegomena zu einer jeden ... , Seite 288 | |||||||
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| 01 | ihrer geometrischen Sätze, sofern sie blos den Raum beträfen, aber an der | ||||||
| 02 | objectiven Gültigkeit und Anwendung dieses Begriffs selbst und aller geometrischen | ||||||
| 03 | Bestimmungen desselben auf Natur zu zweifeln anfingen; da | ||||||
| 04 | sie besorgten, eine Linie in der Natur möchte doch wohl aus physischen | ||||||
| 05 | Punkten, mithin der wahre Raum im Objecte aus einfachen Theilen bestehen, | ||||||
| 06 | obgleich der Raum, den der Geometer in Gedanken hat, daraus | ||||||
| 07 | keinesweges bestehen kann. Sie erkannten nicht: daß dieser Raum in Gedanken | ||||||
| 08 | den physischen, d. i. die Ausdehnung der Materie selbst, möglich | ||||||
| 09 | mache; daß dieser gar keine Beschaffenheit der Dinge an sich selbst, sondern | ||||||
| 10 | nur eine Form unserer sinnlichen Vorstellungskraft sei; daß alle Gegenstände | ||||||
| 11 | im Raume bloße Erscheinungen, d. i. nicht Dinge an sich selbst, sondern | ||||||
| 12 | Vorstellungen unsrer sinnlichen Anschauung seien, und, da der Raum, | ||||||
| 13 | wie ihn sich der Geometer denkt, ganz genau die Form der sinnlichen Anschauung | ||||||
| 14 | ist, die wir a priori in uns finden, und die den Grund der Möglichkeit | ||||||
| 15 | aller äußern Erscheinungen (ihrer Form nach) enthält, diese nothwendig | ||||||
| 16 | und auf das präciseste mit den Sätzen des Geometers, die er aus | ||||||
| 17 | keinem erdichteten Begriff, sondern aus der subjectiven Grundlage aller | ||||||
| 18 | äußern Erscheinungen, nämlich der Sinnlichkeit selbst, zieht, zusammen | ||||||
| 19 | Stimmen müssen. Auf solche und keine andere Art kann der Geometer wider | ||||||
| 20 | aller Chicanen einer seichten Metaphysik wegen der ungezweifelten objectiven | ||||||
| 21 | Realität seiner Sätze gesichert werden, so befremdend sie auch dieser, | ||||||
| 22 | weil sie nicht bis zu den Quellen ihrer Begriffe zurückgeht, scheinen müssen. | ||||||
| 23 | Anmerkung II | ||||||
| 24 | Alles, was uns als Gegenstand gegeben werden soll, muß uns in der | ||||||
| 25 | Anschauung gegeben werden. Alle unsere Anschauung geschieht aber nur vermittelst | ||||||
| 26 | der Sinne; der Verstand schauet nichts an, sondern reflectirt nur. | ||||||
| 27 | Da nun die Sinne nach dem jetzt Erwiesenen uns niemals und in keinem | ||||||
| 28 | einzigen Stück die Dinge an sich selbst, sondern nur ihre Erscheinungen | ||||||
| 29 | zu erkennen geben, diese aber bloße Vorstellungen der Sinnlichkeit sind, | ||||||
| 30 | "so müssen auch alle Körper mit sammt dem Raume, darin sie sich befinden, | ||||||
| 31 | für nichts als bloße Vorstellungen in uns gehalten werden und existiren | ||||||
| 32 | nirgend anders, als blos in unsern Gedanken." Ist dieses nun nicht | ||||||
| 33 | der offenbare Idealismus? | ||||||
| 34 | Der Idealismus besteht in der Behauptung, daß es keine andere als | ||||||
| 35 | denkende Wesen gebe, die übrige Dinge, die wir in der Anschauung wahrzunehmen | ||||||
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