| Kant: AA IV, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 226 | |||||||
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| 01 | könnte doch auch zugleich das Subject der Gedanken sein, wiewohl | ||||||
| 02 | wir durch die Art, wie unser äußerer Sinn dadurch afficirt wird, keine | ||||||
| 03 | Anschauung von Vorstellungen, Willen etc., sondern blos vom Raum und | ||||||
| 04 | dessen Bestimmungen bekommen. Dieses Etwas aber ist nicht ausgedehnt, | ||||||
| 05 | nicht undurchdringlich, nicht zusammengesetzt, weil alle diese Prädicate nur | ||||||
| 06 | die Sinnlichkeit und deren Anschauung angehen, so fern wir von dergleichen | ||||||
| 07 | (uns übrigens unbekannten) Objecten afficirt werden. Diese Ausdrücke | ||||||
| 08 | aber geben gar nicht zu erkennen, was für ein Gegenstand es sei, | ||||||
| 09 | sondern nur, daß ihm als einem solchen, der ohne Beziehung auf äußere | ||||||
| 10 | Sinne an sich selbst betrachtet wird, diese Prädicate äußerer Erscheinungen | ||||||
| 11 | nicht beigelegt werden können. Allein die Prädicate des innern Sinnes, | ||||||
| 12 | Vorstellungen und Denken, widersprechen ihm nicht. Demnach ist selbst | ||||||
| 13 | durch die eingeräumte Einfachheit der Natur die menschliche Seele von | ||||||
| 14 | der Materie, wenn man sie (wie man soll) blos als Erscheinung betrachtet, | ||||||
| 15 | in Ansehung des Substrati derselben gar nicht hinreichend unterschieden. | ||||||
| 17 | Wäre Materie ein Ding an sich selbst, so würde sie als ein zusammengesetztes | ||||||
| 18 | Wesen von der Seele als einem einfachen sich ganz und gar unterscheiden. | ||||||
| 19 | Nun ist sie aber blos äußere Erscheinung, deren Substratum | ||||||
| 20 | durch gar keine anzugebende Prädicate erkannt wird; mithin kann ich von | ||||||
| 21 | diesem wohl annehmen, daß es an sich einfach sei, ob es zwar in der Art, | ||||||
| 22 | wie es unsere Sinne afficirt, in uns die Anschauung des Ausgedehnten | ||||||
| 23 | und mithin Zusammengesetzten hervorbringt, und daß also der Substanz, | ||||||
| 24 | der in Ansehung unseres äußeren Sinnes Ausdehnung zukommt, an sich | ||||||
| 25 | selbst Gedanken beiwohnen, die durch ihren eigenen inneren Sinn mit | ||||||
| 26 | Bewußtsein vorgestellt werden können. Auf solche Weise würde eben dasselbe, | ||||||
| 27 | was in einer Beziehung körperlich heißt, in einer andern zugleich | ||||||
| 28 | ein denkend Wesen sein, dessen Gedanken wir zwar nicht, aber doch die | ||||||
| 29 | Zeichen derselben in der Erscheinung anschauen können. Dadurch würde | ||||||
| 30 | der Ausdruck wegfallen, daß nur Seelen (als besondere Arten von Substanzen) | ||||||
| 31 | denken; es würde vielmehr wie gewöhnlich heißen, daß Menschen | ||||||
| 32 | denken, d. i. eben dasselbe, was als äußere Erscheinung ausgedehnt ist, | ||||||
| 33 | innerlich (an sich selbst) ein Subject sei, was nicht zusammengesetzt, sondern | ||||||
| 34 | einfach ist und denkt. | ||||||
| 35 | Aber ohne dergleichen Hypothesen zu erlauben, kann man allgemein | ||||||
| 36 | bemerken, daß, wenn ich unter Seele ein denkend Wesen an sich selbst verstehe, | ||||||
| 37 | die Frage an sich schon unschicklich sei: ob sie nämlich mit der Materie | ||||||
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